Ausgerechnet der Mann, der mit seinem Einsatz für die vermeintlich serbische Sache stets die Öffentlichkeit suchte, mag von dieser nichts mehr wissen. Er sei ein Schriftsteller, der von Tolstoi, Homer und Cervantes komme, - und möge keine Meinungen, wimmelt der frischgebackene Literaturpreisträger Peter Handke seit Wochen verärgert die lästigen Nachfragen nach Srebrenica ab: Die meisten seiner Kritiker hätten seine Werke nicht einmal gelesen.
Tatsächlich hat Peter Handke den Nobelpreis nicht für seine umstrittenen Jugoslawien-Thesen, sondern für seine literarischen Verdienste erhalten. Aber bewegt er sich damit in dem von ihm nun beanspruchten luftleeren Raum eines unsterblichen Literatenolymps? Wohl kaum.
Auch im zerfallenen Jugoslawien wird Peter Handke kaum gelesen, sondern vor allem als selbsterklärter Freund Serbiens wahrgenommen, gefeiert – und kritisiert: Selbst in seinem Lieblingsland Serbien scheiden sich an dem Grabredner des früheren Autokraten Slobodan Milosevic bis heute die Geister.
Gegen den Mythos von der alleinigen Kriegsschuld Serbiens ist Handke literarisch auf die Barrikaden gegangen. Tatsächlich griffen viele der damals gängigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen zu kurz. Milosevic war keineswegs der einzige Totengräber Jugoslawiens. Auch Serben wurden zu Opfern wüster Kriegsverbrechen. Doch bei seinem Versuch der Legendenzerstörung hat sich Handke willig in den Dienst einer von Belgrad bis heute gerne verbreiteten Legende gestellt: der von Serbien als dem eigentlichen Opfer der Kriege.
Auch serbische Kritiker werfen Handke mangelnde Empathie mit den Opfern und sein williges Fraternisieren mit nationalistischen und autoritär gestrickten Geistern vor. Wie Handke eher ausblendet statt aufklärt, demonstriert beispielsweise sein 2011 erschienenes Büchlein „Die Geschichte des Dragobljub Milanovic“. Bei seiner Geschichte über den Ex-Direktor des Staatssender RTS, der während der Nato-Bombardierung seine Techniker trotz der Kenntnis über den Luftangriff zur Nachtschicht und in den Märtyrertod beorderte, sprach Handke nur mit dem Täter als vermeintliches Justizopfer, aber nicht mit den Angehörigen der eigentlichen Opfer: Was nicht ins eigene Weltbild passt, wird vom Dichterfürst nicht wahr genommen - und bis heute bewusst verdrängt.
Thomas Roser ist Korrespondent in Sarajevo