In den letzten Wochen gaben einander die Journalisten bei Peter Handke in Chaville die Türklinke in die Hand. Einige hat er des Hauses verwiesen, weil sie seine Bücher nicht gelesen haben, sondern nur über Serbien reden wollten. Sie haben für Ihre Handke-Biografie „Meister der Dämmerung“ mehrere Jahre lang recherchiert, neben Briefen, Tagebüchern, Familiendokumenten auch seine Bücher gelesen. Sprechen Sie mit Handke über Serbien? Oder würde er Sie dann auch hinauskomplimentieren?
MALTE HERWIG: Ich habe Handke vor zwei Wochen in Paris besucht und natürlich auch auf die Kontroverse um sein Engagement für Serbien angesprochen. Voraussetzung ist für ihn, dass man seine Bücher gelesen hat und sie nicht nur vom Hörensagen kennt. Als Biograf und Journalist halte ich das für eine akzeptable Bedingung.
Wie war die Stimmung bei Ihrem Besuch? Hat Handke wieder seine Pilzsuppe gekocht?
Von den Pilzen habe ich die Finger gelassen, die wurden oft und immer wieder von anderen Interviewern serviert. Ich habe Handke ab und zu in Chaville besucht und kenne das Haus ganz gut, in dem überall Bücher, Federn und anderes Strandgut aus der Niemandsbucht liegen. Diesmal schien mir etwas anders: Er hatte Eulenflügel und Wildschweinzähne an seine Haustür geklebt. Es wirkte auf mich fast wie ein Abwehrzauber.
Beim Umgang mit dem Schriftsteller haben Sie sich an einen Satz von Handke gehalten: „Natürlich will ein Künstler nicht bewundert, sondern in treu sorgender Ironie betrachtet werden.“ Ist das nach wie vor eine gute Basis?
Ironie und Hinwendung sind eine gute Voraussetzung, um einfühlsam und kritisch zugleich über einen Künstler und Menschen zu schreiben, der es sich und anderen oft nicht leicht macht. Bewunderung und Hingabe dagegen verhindern kritische Nachfragen und Recherche. Das Ergebnis ist dann Hofberichterstattung. Ich bin weder Handke-Jünger noch Gegner. Ich bin Zuschauer und meine Biografie zeigt Handke mit Licht und Schatten.
Mit der „Winterlichen Reise“ hat Handke dafür gesorgt, dass die öffentliche Diskussion über Jugoslawien weniger einseitig verläuft. Und doch stehen einander bis heute zwei Gegner erbittert gegenüber – diejenigen, die sagen, er sei eben ein Dichter und die anderen, die dem Dichter seine Perspektive nicht gestatten wollen. Woran, glauben Sie, liegt das?
Es ist gut und richtig, über Handkes Positionen und sein Werk zu streiten. Die Debatte der letzten Wochen erinnert mich aber an die alten Schwarzweiß-Western aus den Vierzigerjahren: Es gibt Helden mit weißen und Schurken mit schwarzen Hüten, die man sofort erkennen kann. Hinzugekommen sind die Spinner mit Aluhüten, die Fake News und Verschwörungstheorien verbreiten. Die Nuancen, die Grauschattierungen fehlen. Man könnte auch sagen: Die Öffentlichkeit giert nach Heiligsprechung oder Verdammung. Aber Heiligengeschichten sind langweilig und eindimensional. Ich würde nie die Biografie eines Heiligen schreiben wollen – mit Ausnahme vielleicht von Augustinus, weil der Probleme mit dem Keuschheitsgebot hatte. Konflikt ist der Treibstoff großer Literatur.
Zusätzlich kam dann die Geschichte mit dem jugoslawischen Pass aufs Tapet, und die Frage, ob Handke aus der Kirche ausgetreten sei. Für einen Literaturpreis unerheblich, aber das Rauschen im Blätterwald war beträchtlich. Haben Sie zwischendurch den Eindruck gehabt, es könnte ähnlich ausgehen wie beim Heine-Preis? (Anmerkung: Nach einem politischen Veto verzichtete Handke).
Nein, denn der Nobelpreis steht zum Glück nicht unter dem Einfluss von Lokalpolitikern, sondern wird in geheimer Sitzung von einer unabhängigen Jury für ein literarisches Werk vergeben. Schaut man sich die Liste der Literaturnobelpreisträger der letzten 100 Jahre an, dann wird schnell klar, dass eben die Autoren noch heute gelesen werden, die den Preis tatsächlich aufgrund ihrer literarischen Qualität bekommen haben. Im Übrigen halte ich es mit Elfriede Jelinek: Als Künstler hat Handke den Nobelpreis zehnmal verdient. Sein Werk hat Höhen und Tiefen, aber es wird bleiben
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Ein Jahr nach dem Erscheinen Ihrer Handke-Biografie wurde bereits die 3. Auflage gedruckt. Wird der „Meister der Dämmerung“ neu aufgelegt und werden Sie auch nach Stockholm fahren?
Der Verlag hat nach der Bekanntgabe sofort 3000 Exemplare nachgedruckt. Jetzt werde ich die Biografie aktualisieren und ergänzen. Die Ereignisse um den Nobelpreis werden natürlich eine Rolle spielen, und als Biograf will ich immer so nah wie möglich am Geschehen sein. Die Schwedische Akademie war deshalb so freundlich, mir eine Einladung zu schicken. Den Frack muss ich mir nicht leihen, den hatte ich bereits, als ich in England studierte. Die größte Überraschung: Er passt sogar noch.
Uschi Loigge