Sie kämpfen beide auf ihre Art mit ihren Dämonen: Der 40-jährige russische Dichter Fjodor Dostojewskij, dessen größten Erfolge ebenso hinter ihm liegen wie zehn Jahre Gefangenenlager in Sibirien. Und der 30 Jahre ältere, erfolgreiche Komponist Gioachino Rossini, Genussmensch und weltberühmte Legende. Es gibt keinen historischen Beleg dafür, dass die beiden einander 1862 in Venedig getroffen haben, doch zeitlich wäre es sich ausgegangen.
Dieses Gedankenspiel ist der Ausgangspunkt für Michael Dangls atmosphärischen und klugen biografischen Roman, der ein schillerndes Doppelporträt der beiden Künstler zeichnet. Wie er das tut, ist fakten- und kenntnisreich, streckenweise langatmig, dann wieder beinahe philosophisch. Denn neben den Ess- und Trinkgelagen, die vor bacchantischer Lebenslust nur so strotzen, verführt der Komponist Rossini den stets grübelnden, an Epilepsie leidenden russischen Schriftsteller zu tiefschürfenden, intimen Gesprächen über das Künstlerdasein und das Leben, die Frauen und die Sinnlichkeit.
Klar, dass bei so einem Setting auch Casanova eine Rolle spielt und natürlich immer wieder das Essen. Köstlich sind etwa die Szenen, in denen Rossini den zufällig vorbeikommenden Dostojewskij in einer Osteria an seinen Tisch bittet – inklusive einer Liebeserklärung an die Mortadella: „Rosmarin, Lorbeer, Knoblauch, sagte der Komponist schulterzuckend zum Schriftsteller, in einem Ton, der ausdrückte, wie leicht das Leben doch sein konnte.“ – Es ist schließlich kein Zufall, dass einige Gerichte der Haute Cuisine auch heute noch nach dem Genießer benannt sind („Tournedos Rossini“).
Michael Dangl, Josefstadt-Mime und italophiler Autor („Grado abseits der Pfade“), schrieb einen lebensprallen, streckenweise etwas wissensüberfrachteten historischen Roman, der unterhaltsam und lehrreich ist und als literarischer Reiseführer zum Flanieren durch Venedig einlädt. Das Konzept geht auch hier auf, wie schon bei den fiktiven Biografien von Peter Härtling (Schubert, Fanny Mendelssohn), Julian Barnes (Schostakowitsch), Daniel Kehlmann (Humboldt und Gauss) und ähnlichen – alles Leseempfehlungen!
Buchtipp: Michael Dangl. Orangen für Dostojewskij.
Braumüller, 480 Seiten, 24 Euro.
Karin Waldner-Petutschnig