In einer heruntergekommenen Herberge in einem Badeort in der japanischen Provinz wird der Ich-Erzähler an der Rezeption betont höflich von einem Affen empfangen. Bald schon plaudern die beiden bei einem kühlen Bierchen über die musikalischen Vorlieben des doch etwas sonderbaren Herren vom Empfang - er liebt klassische Musik, vor allem von Anton Bruckner und Richard Strauss. Warum auch nicht? Der Wunsch, die Gespäche am nächsten Tag zu vertiefen, scheitert. Der Affe ist spurlos verschwunden, das Personal zeigt sich verwundert und ahnungslos.
Vogel, ausgeflogen
Acht großmeisterhafte Erzählungen enthält das neue Werk "Erste PersonSingular" von Haruki Murakmi. Was sie eint, ist die Tatsache, dass die Realtität schon nach wenigen Sätzen absalutiert, im Affentempo, gewissermaßen. Locker und entspannt wie selten zuvor schüttelt Kafkas listiger und hinterlistiger Bruder im Geiste skurrile, groteske und höchst vergnügliche Geschichten aus dem Ärmel. Wenn es denn einen ebenfalls reichlich verhedderten roten Faden gibt, dann ist es die Tatsache (aber wer vermag das bei diesem Verwirrspiel noch zubehaupten?), dass Murakami einen nostalgischen Blick zurück auf seine Jugendjahre wirft. Damals, so behauptet er, sei ihm die Vorstellung, irgendwann einmal als Dichter tätig zu sein, völlig absurd erschienen. Ja, eh klar
Um sofort in die nächste Groteske einzutauchen. Darin schwärmt er begeistert über ein Live-Konzert, das Charlie "Bird" Parker im Jahr 1963 gab. Der Saxophon-Virtuose starb zwar schon acht Jahre zuvor, aber wen stören diese Fakten, einmal in Fahrt gekommen, schon? Einige Seiten später gesteht der Autor zwar ein, gemogelt zu haben. Ehe er in einem kleinen Musikgeschäft in New York eine Schallplatte von Charlie Parker entdeckt - zu hören gibt es einen Live-Mitschnitt des Konzerts aus dem Jahr 1963. Ziemlich irritiert und verstört verlässt er das Geschäft. Am Tag danach treibt ihn die Neugier doch zurück, allein, die Platte ist verschwunden, der "Bird" ist ausgeflogen, der Verkäufer tippt auf einen mittleren Dachschaden seines Kunden. Tja, man muss halt auch zwischen den Rillen lesen können.
Pointenraub
Nicht fehlen dürfen in dieser famosen Sammlung an schrägen und oft sehr zärtlichen Erinnerungen natürlich erste Liebesgeschichten, auch die sind ordentlich neben der Spur. Aber mehr zu verraten, wäre ein geradezu krimineller Fall von Pointenraub. Zum Wesen der Literatur gehört auch die Kunst der Täuschungen. Und die beherrscht Haruki Murakami auf schwindelerregende Art und Weise. Wer es nicht glaubt, der muss lesen. Und das lohnt sich diesfalls doppelt und dreifach.
Lesetipp:Haruki Murakami: "Erste Person Singular". Dumont. 224 Seiten, 22,90 Euro. (Ab 26. 1. im Handel, aber Online bereits bestellbar).
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Werner Krause