Wie viele Bezeichnungen es doch für den Begriff Vater gibt, nicht wenige davon sind unzulänglich oder gar geringschätzig. Eine Ausnahme aber besteht, sie ist einzigartig. Durch den Wohlklang, durch die Zuneigung, durch die Sanftheit, durch die Ausdrucksweise, die gar keinen schroffen Ton zulässt. „Vati“ lautet der Name. Und „Vati“ betitelt sich auch die Fortsetzung von Monika Helfers Familienchronik, die mit „DieBagage“ im Vorjahr so eindrucksvoll begann. Es ist keine Zugabe, keinhurtiger Schnellschuss, um rasch an den enormen Erfolg des Vorgängers anzuknüpfen. Es ist die virtuose Weiterführung einer Geschichte, die im Jahr 1914 begann und nur schemenhaft in die Wirren des Zweiten Weltkriegs mündete.

Schweigereich


Ausgespart blieben damit auch die ersten Lebensjahre der Autorin selbst, sie wurde 1947 geboren. Und erledigt hat sich das Dasein ihrer Vorfahren, die als Bagage, abgenabelt von der Dorfgemeinschaft, nicht selten an der Armutsgrenze hausten.

Geblieben aber ist die rare, so imponierende Gabe von Monika Helfer, ihre Leserschaft schon mit dem ersten Satz abzuholen; behutsam, aber doch bestimmt, um sie als stumme, staunende und, ja doch, ergriffene Gäste an ihrer Reise in die Vergangenheit teilnehmen zu lassen.

Sie führt auch in ein Schweigereich. Dorthin, wo ihr Vater seine zweite Bleibe gefunden hatte. Schon als Bub zeigte er sich fasziniert von der Bibliothek eines wohlhabenden Dorfbewohners, den Roman „Ivanhoe“ schrieb er ab. Satz für Satz, in Schulhefte. Die stille Welt der Bücher war und blieb seine wahre Heimat. Aus dem Krieg kehrte er mit einer Beinprothese zurück, aber es erschien fast wie eine schicksalhafte Fügung, dass er mit seiner Familie beruflich in ein Kriegsversehrtenheim ziehen durfte, hoch oben in der Bergwelt, um dort die Bücherei zu verwalten.

Fragmente


Wohl erst beim Versuch, sich ein markantes Bild von ihrem Vater zu verschaffen, wurde Monika Helfer klar, wie wenig sie über ihren wortkargen Vater wusste. Mehrmals verschwand er spurlos, dem Begräbnis der Mutter blieb er fern, einige Zeit lebte er in einem Kloster. Dennoch: Aus Fragmenten und Fundstücken in der Dunkelkammer derVergangenheit formte die Autorin Leuchtspuren der Erinnerung, deren Intensität sich durch die schlichte, aber enorm präzise Erzählweise noch verstärkt. Diesem „Vati“, in Buchform verewigt, ist größte Zuneigung gewiss.

Lesetipp: Monika Helfer. "Vati". Hanser. 176 Seiten, 20,60 Euro (das Buch ist ab 25.1. erhältlich, ober Online ab sofort bestellbar)