Eigentlich besitzt jeder Autor, jede Autorin, die ihre Geschöpfe zum literarischen Leben erwecken, eine ungeheuerliche Macht über ihre Figuren. Völlig verantwortungslos können sie ihre Gestalten grauenhaft leiden lassen, quälen oder gar, im schlimmsten Fall, vorzeitig ins Jenseits schicken. Was aber passiert, wenn einer dieser Protagonisten, der noch dazu Memento Mori heißt (also „Sei dir der Sterblichkeit bewusst“), erkennt, dass er mit einer Zeitmaschine kreuz und quer durch die Literaturlandschaft düsen kann?
Mehr noch: Er ist in der Lage, all den geplagten und gequälten Wesen beizustehen und vor ihrem Schicksal zu bewahren. So überredet er Romeo und Julia, aus dem Drama eine Komödie zu machen, er bewahrt Sherlock Holmes vor dem Tod und stürzt dessen teuflischen Gegner Moriarty allein in die Tiefe der Reichenbachfälle. Und er überbringt auf der Bühne Vladimir und Estragon eine erfreuliche Nachricht, die auch ihrer Warterei ein Ende beschert. Godot ist nicht tot, er steckt lediglich im Verkehrsstau und erscheint demnächst.
Spielchen mit der Weltliteratur
Kaum zu zählen sind all die grotesken, absurden, urkomischen Geschichten, die von Beka Adamaschwili (30) in seinem neuen Roman „In diesem Buch stirbt jeder“ aufgetischt werden. Ziemlich durchtrieben und enorm belesen treibt der 30-jährige Georgier nicht nur seine Spielchen mit der Weltliteratur, er führt auch die Leserschaft immer wieder an der Nase herum. Schließlich fühlt er sich als Autor durch diese Rebellion bedroht und schreitet zum Gegenangriff.
Derlei "Meutereien" und Aufstände gegen den Autor sind keineswegs neu, aber imposant ist die Fülle an skurrilen, schrägen Einfällen, mit denen Adamaschwili souverän durch das von ihm geschaffene poetische Wunderland wandelt, wie es einstmals auch Alice tat.
Lobeshymnen
Dieser Autor verweigert sich jedem konventionellen Erzählen. Das bewies er schon eindrucksvoll mit seinem Roman „Bestseller“ international mit Lobeshymnen bedacht. In diesem Vorgänger-Werk schickt er seinen erfolglosen Dichterhelden in die Literaturhölle, wo er etliche literarische Rätsel lösen muss.
Wer zwischendurch kluge Bücher mag, die anscheinend völlig aus dem Ruder laufen, der sitzt hier ganz gewiss im richtigen Boot. Dass es da oder dort ein Leck hat, damit muss allerdings gerechnet werden. Gebohrt hat es sicher der Autor.
Lesetipp: Beka Adamaschwili. In diesem Buch stirbt jeder. Volant & Quist. 208 Seiten, 25,90 Euro.
Werner Krause