Mit wundersamen Werken wie „101 Reykjavík“ oder „Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen“ schuf er nicht nur Weltbestseller, er machte den skurrilen isländischen Humor mit seiner kühnen Schräglage zu einer unnachahmlichen literarischen Handelsmarke.
Nach einem kurzen kreativen Durchhänger läuft Hallgrímur Helgason wieder zu absoluter Höchstform auf. In „60 Kilo Sonnenschein“ erzählt er, in epischer Breite, die Entstehungsgeschichte des Inselstaates und den mühsamen Aufbruch Islands in die modernen Zeiten. Aber zuerst einmal muss alles freigeschaufelt und halbwegs aufgetaut werden. Denn das fiktive Dorf, das Helgason zum Schauplatz seiner Geschichtsforschung macht, steckt, wie der gesamte Fjord, unter meterhohen Schneemassen.
Unter den wenigen Überlebenden befindet sich auch Gestur, ein unehelicher Bauernsohn, am Beginn des Romans knappe zwei Jahre alt, am Ende der enorm mäandernden Geschichte Wegbereiter der Moderne. Die Fabulierfreude von Helgason ist grenzenlos, dies gilt, wie man von ihm gewohnt ist, auch für das Auftischen von Absurditäten aller Art.
Er verspottet seine Landsleute nach Strich und Faden, lässt dem Hass auf die Dänen und die Norweger freien Lauf und löst, um nur ein Beispiel zu nennen, das Rätsel der kahlköpfigen ersten Besiedler. Sie flohen vor dem norwegischen König Schönhaar, der mit seinem Haar jeden Fjord bedecken wollte. Kein geringes Bestreben.
All das missfiel den Flüchtlingen, sie ließen sich Glatzen scheren und säuberten die Natur von allem, das nach oben wuchs – von Bäumen bis zu Büschen aller Art. Womit die Kahlheit Islands auch schon erklärt ist. „60 Kilo Sonnenschein“ dürfte, auf seine Weise, das hellste Werk in diesem Herbst sein.
Buchtipp: Hallgrímur Helgason. 60 Kilo Sonnenschein. Tropen, 568 Seiten, 25,90 Euro.
Werner Krause