Lustvoll verspürt Irene Diwiak nicht die geringste Lust, sich in ein literarisches Korsett zwängen zu lassen. Wenn es etwas gibt, das ihre beiden Romane gemeinsam haben, dann ist es das Thema der schleichenden Demaskierung; der scharfe, aber nicht steinherzige Blick hinter brüchige Fassaden und unter doppelte Böden, unter denen sich fallweise auch Leichen befinden. Einstürzende Neu- und Altbauten allerorten.
In ihrem hochgelobten Debüt „Liebwies“, angesiedelt in den 1920er-Jahren in der österreichischen Provinz, ließ die gebürtige Steirerin mit der Entlarvung von ohrenbetäubenden Misstönen im Musikbetrieb aufhorchen; in ihrem neuen Roman „Malvita“ ist es die Welt der Reichen und Schönen, die Diwiak in deren eigenen Flitzern an die Wand fahren lässt.
Christina, eine durch Beziehungsbetrug lädierte junge Frau, reist von Wien in die Toskana, um dort bei der Hochzeit ihrer Cousine zu fotografieren. Sie kennt weder die Braut noch die anderen Familienmitglieder, die in einer schlossartigen Villa wohnen. Das Dorf, Malvita, ist ausgestorben, seit die Fabrik geschlossen wurde. Die Bewohner arbeiten jetzt als uniformierte Bedienstete für die herrschaftlich gönnerische Braut-Familie Esposito. Das Regiment führen vornehmlich die Frauen; Täterinnen und Opfer zugleich, wie sich bald herausstellen wird.
Neben der Demaskierung ist die äußerst raffinierte, weil leichtfüßige Irreführung die große Stärke dieser Autorin, die das Spiel mit Genres, Klischees und Erwartungshaltungen liebt. Letztere werden naturgemäß oft enttäuscht, doch gerade daraus lässt sich ein wunderbarer Lesegewinn destillieren.
Von Beginn an führt die 29-jährige Schriftstellerin auf die Fährte eines klassischen Krimis. Geheimnisvolle Menschen in einem düsteren geografischen Setting, schwelende Missstimmung, die Ahnung von dräuendem Unheil, die schrittweise Demontage des ohnehin schon schimmeligen Idylls und mit Christina eine derangierte „Heldin“, der alle Gewissheiten abhandenkommen. Und dann taucht auch noch jene Frau auf, die ursprünglich als Fotografin auf der bevorstehenden Hochzeit vorgesehen war: als Leiche.
Doch natürlich trügt der Schein auf allen Ebenen. Trotz krimineller Rahmenhandlung ist „Malvita“ kein Krimi, trotz starkem #MeToo-Strang kein feministischer Rachethriller, wie bereits kolportiert, sondern eine verführerische menschliche Komödie, in der Irene Diwiak alle Beteiligten hinters Licht führt. Das hat zur schönen Folge, dass dieser Roman besonders hell leuchtet.
Buchtipp: Irene Diwiak. Malvita. Zsolnay, 304 Seiten, 23,90 Euro.