Wunderbar behaglich lebt es sich in den poetischen Unterkünften, die Dzevad Karahasan umsichtig in der Literaturlandschaft errichtet. Fernab von den Prosa-Schnellstraßen sind sie angesiedelt, auf gesteigerten, übertriebenen Komfort wird kein Wert gelegt. Es sind die Sätze, die sitzen, vom ersten bis zum letzten. Als großer europäischer Dichter wurde der in Jugoslawien geborene Universaldenker mehrmals gewürdigt.
Sein epochaler Roman „Der Trost des Nachthimmels“ brachte ihm einen gebührenden Platz neben Thomas Mann und Robert Musil ein. Nun vollendete der bosnische Autor, der in Graz seine Zweitheimat fand, ein Langzeitprojekt, an dessen Feinschliff er mehr als zwei Jahrzehnte lang immer wieder arbeitete. Das Resultat hätte eindrucksvoller gar nicht ausfallen können. „Das Haus der Müden“ vereint fünf Geschichten, mit Meisterhand geformt, ausgefeilt bis ins kleinste Detail. Wobei dies nicht ganz stimmt. Denn in der Werteskala dieses Autors hat jede scheinbar noch so belanglose Nebensächlichkeit eine spezielle Bedeutung und Daseinsberechtigung.
Was die fünf Geschichten eint, ist das Schicksal von Menschen, die, vor allem durch private Tragödien, aus der Bahn, mehr noch, aus der Welt geworfen wurden. Mit einer Rückkehr in Zeiten, die sich anschicken, stets moderner werden zu wollen, haben sie nichts im Sinn. Sie arrangieren sich mit ihrer Einsamkeit. Es ist die schlechteste Bleibe nicht. Der Fundus an Erinnerungen ist eine stille Alternative zum Weltgetöse.
Angesiedelt sind die vielschichtigen, magischen und mystischen Geschichten in den Kriegs- und Zwischenkriegsjahren, einer der Schauplätze ist das Städtchen Duvno; es ist Karahasans Geburtsort.
Wundersame Dinge geschehen. Briefe erreichen mit mehr als einjähriger Verspätung die Empfänger, Bäche versiegen auf rätselhafte Weise. Eines der vielen Glanzstücke, deren feinsinnigste Ironie auch die Nähe zu Tschechow belegt, ist die Allegorie über den vermeintlichen kommunistischen Segen. Ein weises Buch, reich an Erkenntnissen, auch an Skepsis, ein leises Lächeln am Ende der Leiter. Karahasans Geschöpfe sind keine Weltverweigerer; sie mögen gestrauchelt sein, aber nur, weil ihr Blick beim Straucheln zum Himmel gerichtet war. Dorthin, wo, so hofft Karahasan, auch Platz für Melancholie ist. Es wird sich weisen. Vorerst sorgt er erdnah für literarische Sternstunden. Gut und schön so.
Lesetipp: Dzevad Karahasan: "Ein Haus für die Müden". Suhrkamp. 239 Seiten, 24,70 Euro.
Werner Krause