Er kann’s und will’s auch gar nicht lassen: das brillante Formulieren, das Irritieren, das Provozieren. Letzteres bewies Martin Walser, kürzlich 91 Jahre alt geworden, in einem – natürlich aufsehenerregenden – Interview. Darin lobt er Putin in höchsten Tönen, bei Donald Trump steigert er seine Bewunderung noch; er findet den US-Präsidenten „furchtbar ehrlich“, meint das aber nicht doppeldeutig oder zynisch. Mitunter erinnert der Großliterat vom Bodensee dabei an die Devise von Christoph Schlingensief: „Ich stifte riesiges Chaos, wie in einem Kinderzimmer – und dann bin ich auch schon wieder weg.“
Vielleicht wollte Martin Walser aber mit seinen aktuellen Aussagen nur ein wenig die Werbetrommel rühren für sein aktuelles Werk, das eigentlich eine Textsammlung ist; auch das wäre keineswegs zum ersten Mal der Fall. Unter dem für Walser typischen Titel „Ich würde heute ungern sterben“ sammelte Thekla Chabbi insgesamt 39 markante Interviews aus den vergangenen 40 Jahren. Sie bieten tiefe Einblicke in Martin Walsers Dichterleben, sie zeigen ihn als leidenschaftlichen Selbstironiker, als präzisen Zeit- und Gesellschaftsdiagnostiker, aber auch als Polemiker, der keinerlei Probleme mit seinen Widersprüchlichkeiten hat, weil er sie bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit unbekümmert widerruft oder eben sich selbst widerlegt. In ihm stecke eine ständige Sehnsucht, die sich von der Wirklichkeit nicht belehren lässt, sagt Walser. Das trifft’s genau.
Werner Krause