"Schock." Das allererste Wort in Naomi Kleins wuchtiger Kampfschrift "Gegen Trump" beschreibt die Reaktion von Millionen Menschen weltweit nach der US-Wahl vom 8. November 2016. Der Untertitel ("Wie es dazu kam und was wir jetzt tun müssen") deutet aber schon darauf hin, dass sie es nicht beim Gefühl ohnmächtiger Erstarrung bewenden lassen will.
Kleins Schlussworte klingen denn auch aufmunternd: "Es ist Zeit für couragiertes Handeln. Es ist Zeit für einen Satz nach vorne." Zwischen "Schock"-Bekenntnis und vorsichtiger Aufbruchstimmung skizziert die 47-jährige kanadische Journalistin freilich auf rund 350 gut lesbaren Seiten (nach eigener Aussage "im Plauderton geschrieben") eine Gegenwart und Zukunft unter Trump, die gruseln lässt. Nach dieser Bestandsaufnahme wirkt Kleins Schlussfolgerung ("Eine fürsorgliche Mehrheit ist in Reichweite") arg zuversichtlich.
Wegen der Skrupellosigkeit Trumps und seiner Regierung von Milliardären, Fanatikern und Umweltfeinden befinde sich "jeder Bewohner des Planeten potenziell im Explosionsgebiet, in der Fallout-Zone und sicherlich in der Erwärmungszone", schreibt die Umweltaktivistin. Dabei webt sie zwar prägende Ereignisse der ersten Trump-Monate - etwa die Entlassung von FBI-Chef James Comey und die perfide "Fake News"-Kampagne - in ihre Analyse ein, verliert sich aber nicht in kleinteiligen, rasch überholten Schilderungen der aktuellen Vorgänge rund ums Weiße Haus.
Mit mehreren einflussreichen Büchern hatte Klein sich seit der Jahrtausendwende als Kapitalismuskritikerin hervorgetan ("No Logo", "Die Schock-Strategie"). Zuletzt warnte sie eindringlich vor dem Klimawandel ("This Changes Everything: Capitalism vs. The Climate"). Ihre Hauptthesen - die globale Macht großer Marken wie Apple, Nike oder Starbucks, neoliberale Ausbeutungsstrategien mit Hilfe inszenierter Krisen und Schocks, eine entfesselte Marktwirtschaft als Umweltschutzbremse - wendet sie nun, manchmal durchaus eitel und selbstreferenziell, auf Trump an.
Denn der sei keineswegs aus dem politischen Nichts gekommen. Der Immobilienmagnat habe es mit menschenverachtenden TV-Auftritten und hochnotpeinlichen Wrestling-Events verstanden, sich als Entertainment-Marke "Trump" zu etablieren - und alle hätten zugeschaut. "Er ist das vollkommen vorhersehbare, ja geradezu klischeehafte Ergebnis der allgegenwärtigen Ideen und Trends, denen man schon lange hätte Einhalt gebieten müssen", so hält die auch mit einem US-Pass ausgestattete, im kanadischen Toronto lebende Autorin ihren Lesern einen Spiegel vor.
Nun müssten die USA eben mit schlechterer Krankenversorgung, weißem Nationalismus, einer "unbarmherzigen Einwanderungspolitik" leben - und mit "der Tatsache, dass sexuelle Übergriffe auf den höchsten Ebenen der Macht zur Normalität erklärt" würden. Vor allem aber registriert Klein einen Anschlag auf das Weltklima durch "Trumps Komplizenschaft mit der Fossilindustrie".
Die Schilderung eines Tauchurlaubs am sterbenden Great Barrier Reef in Australien mit ihrem vierjährigen Sohn Toma liest sich bedrückend und ergreifend. Dass die neue US-Regierung aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigt, war bei Fertigstellung des Buches noch offen. Kleins Empörung über die Unterwerfungsgesten von US-Gewerkschaftern nach Trumps Amtseinführung, die Trauer über das Scheitern des "demokratischen Sozialisten" Bernie Sanders gegen Hillary Clinton - all das wirkt stets authentisch, meist schlüssig, aber eben auch etwas rückwärtsgewandt.
Ihr im zweiten Buchteil entworfenes Rezept zur Rettung der liberalen, toleranten Demokratie: eine linke Protestkultur und Solidarität, die in den 90er Jahren bereits einigen Erfolg gegen ausufernden Freihandel gehabt hätten. Es gehe um "eine mutige progressive Agenda, die echte Umverteilung vorsieht".
Ob solch emotionale, kämpferische Thesen eine Chance bergen gegen rechte Populisten, gegen Männer mit viel Geld und einfachen Lösungen wie Donald Trump? "Es ist höchste Zeit, sich auf eine Katastrophe vorzubereiten", ahnt Klein selbst. Und malt sogleich ein Bild von ultra-reichen Krisen- und Kriegsgewinnlern, die sich vom Rest der Welt in geschützte Regionen absetzen...
Kann es also eine von Naomi Klein beschworene "Schockresistenz" geben, als Reaktion auf Trumps "Blitzkrieg-Strategie" und seinen "kapitalistischen Putsch"? Die Linksaktivistin nennt Vorbilder: Argentinien in der Wirtschafts- und Staatskrise vor 15 Jahren, Spanien nach den Terroranschlägen von 2004.
Anzeichen für öffentlichen Widerstand von Millionen Menschen erkennt sie derzeit auch in den USA. "Wir können angesichts einer schweren Bedrohung, die uns alle betrifft, den Entschluss fassen, uns zusammenzuschließen und einen evolutionären Satz nach vorne zu wagen", meint Klein. Schön und gut - aber viel mehr als ein glühender Appell und eine sympathische Utopie fallen auch dieser klugen Autorin nach einigen Monaten "Trumpismus" nicht ein. Ein zwiespältiges Buch, das viele Sorgen und etwas Hoffnung weckt.
Werner Herpell