"Wir waren eine helle Familie", heißt es immer wieder beschwörend. Doch schon bald ist klar: Was die elfjährige Icherzählerin in Linda Boström Knausgards "Willkommen in Amerika" in ihrer Familie erlebt, ist in Wahrheit ein düsterer Albtraum, auf den das Mädchen mit einem radikalen und konsequent durchgehaltenen Schritt reagiert: Sie verstummt. "Die Sprache nahm das Licht mit." Finsternis regiert.
Es ist eine an einen Psychothriller erinnernde Konstellation, die Boström Knausgard in ihrem schmalen Buch, das als Roman beworben wird, aber eher einer Novelle gleicht, entwirft. Der Vater, offenbar ein Psychotiker mit manischen Schüben, sorgt für Angst und Schrecken und dafür, dass die Tochter ihren Todeswunsch als fixen Bestandteil ins Abendgebet aufnimmt. Gott erhört sie. Die Familie empfindet die Todesnachricht als Erlösung. "Plötzlich gab es große, freie Räume in mir. Räume, die die Stille ausfüllte." Auch der große Bruder macht Ellen Angst. Nur die Mutter, eine prominente Schauspielerin mit wechselnden jungen Liebhabern, verströmt ostentative Lebenslust. Sie ist die Lichtquelle der Familie, die sich selbst blendet und daher die dunklen Winkel ihrer engsten Umgebung gar nicht auszuleuchten vermag.
Knausgard & Knausgard
Die Mutter der Autorin war eine in Schweden bekannte Schauspielerin. Man kennt sie als energetische, meist im Mittelpunkt stehende Schwiegermutter aus Karl Ove Knausgards autobiografischen "Min Kamp"-Büchern. Linda Boström Knausgard kommt ebenfalls ausgiebig in ihnen vor. Mittlerweile ist das Paar, das vier gemeinsame Kinder hat, geschieden. Erschreckend, dass auch "Willkommen in Amerika" (der Titel hat nichts mit den realen USA zu tun, sondern zitiert aus einer Bühnenrolle der Mutter) von einem dominanten und als bedrohlich empfundenen Vater erzählt, wie es ihr Ex-Mann in "Sterben", dem Auftakt-Band seiner erfolgreichen Serie, getan hat. Doch es ist müßig über den biografischen Gehalt von "Willkommen in Amerika" zu spekulieren. Das von Verena Reichel sorgsam übersetzte Buch besticht durch seine Sprache.
Die 44-jährige Autorin wurde als Lyrikerin bekannt. Die Gefühlswelt der Heranwachsenden, die alles, auch ihr eigenes Wachstum, als Bedrohung empfindet, verdichtet sie zu erstaunlichen Bildern. "Die Stille hatte immer als eine Möglichkeit dagelegen. Ein schwarzer Boden, den man betreten konnte." Alles macht Angst, alles rückt dem Mädchen auf den Leib, so dass sie sich gegen die vermeintlich nach innen biegenden Zimmerwände stemmt. Das Verstummen wird zur Selbstverteidigung, zum Schutzwall, gegen den auch die Lehrer vergeblich anrennen. Sogar der tote Vater, der seine Tochter heimsucht, wird stumm in die Schranken gewiesen. "Du bist tot. Du darfst nicht hierherkommen", schreibt sie in ihr Tagebuch und hält es ihm unter die Nase. Er verschwindet.
"Willkommen in Amerika" ist ein Buch, das die innere Finsternis in vielen Nuancen meisterhaft beschreibt, aber keinen Hoffnungsschimmer bietet. "Ich überlegte, wie ein Leben gelebt werden sollte, hatte aber keine Antwort."