Sie drücke beiden Ländern die Daumen, erklärte sie im Juni, als sie von der Kleinen Zeitung telefonisch in der Seniorenresidenz im französischen St. Etienne kontaktiert wurde: Österreich und Frankreich – einen Tag später standen sich beide Länder bei der Euro, der Fußball-EM, freundschaftlich gegenüber. Sie hätte den Österreichern auch einen Korb geben können – nach ihren Erfahrungen, die sie in ihrem langen Leben mit ihrer alten Heimat gemacht hatte.
Melanie Berger-Volle zählt zu den letzten Zeitzeuginnen des Widerstands, in wenigen Wochen, am 8. Oktober, feiert sie ihren 103. Geburtstag. In Frankreich ist sie durchaus bekannt, ihr wurde im Juni die große Ehre zuteil, die Olympische Fackel ein paar Meter tragen zu dürfen. 2013 erhielt sie aus den Händen des französischen Staatspräsidenten den Orden der Ehrenlegion. Dieser Tage weilt sie zu einer Präsentation ihrer Biografie in Wien.
Berger-Volle ist gebürtige Wienerin. Sie kam in einfachen Verhältnissen in einem Gemeindebau in der Brigittenau zur Welt und entwickelte früh schon ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Bereits in der Volksschule teilte sie ihre Jause mit den Mitschülern, die hungrig dem Unterricht beigewohnt haben, vertraute sie einst einem Oral-History-Podcast an. Bereits mit 15 Jahren dockte sie bei den Trotzkisten an, Stalins Schauprozesse bewogen die junge rebellische Frau, Moskau ideologisch den Rücken zu kehren. „Was dort passiert ist, hat nichts mit Kommunismus zu tun“, erklärte sie.. „Ich habe Rosa Luxemburg gelesen. Ohne Demokratie geht das nicht.“
Nun wird auch in einer neuen, im Czernin-Verlag erschienenen Biografie „Die kleine Sache Widerstand“ des Spiegel-Journalisten Nils Klawitter das abenteuerliche Leben der wohl ältesten, noch lebenden österreichischen Widerstandskämpferin rekapituliert. In der Zeit des Ständestaats traf man sich illegal im FKK-Bereich in der Lobau. Bald nach dem Anschluss flüchtete sie über Belgien nach Frankreich, wo sie sich der Resistance anschloss.
Sie tauchte in Paris unter, verkleidete sich bei der Flucht in den Süden als Mann, wurde verhaftet, zu 15 Jahren Haft verurteilt. Auf spektakuläre Weise gelang ihr die Flucht aus dem Gefängnis, ihre Kommilitonen gaben sich mit gefälschten Papieren als Gestapo-Funktionäre aus. Sie war nie die 1947 heiratete sie und wurde die Französin, die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt sie mit einigem Aufwand später wieder zurück. . Auch die Rückgabe der arisierten Wohnung gestaltete sich schwierig.
Heute erhält sie vom österreichischen Staat eine Opferentschädigung in Höhe von 214 Euro. Am Wochenende weilt sie wieder in ihrer Geburtsstadt, um die lesenswerte Biografie zu präsentieren.