Ein spitzer Hut mit Feder, ein buschiger Vollbart und neugierige Augen: So kennen und lieben die Kinder den Räuber Hotzenplotz. Seit 60 Jahren sorgt er für Vergnügen und wohlige Spannung, etwa wenn er der Großmutter Kaffeemühle oder Bratwürste klaut und Kasperl und Seppel ihm nachstellen. Am 1. August 1962 erschien Otfried Preußlers Kinderroman "Der Räuber Hotzenplotz" erstmals.

Ein Erfolg für den 1923 geborenen Schriftsteller. Sein Buch und die beiden Folgebände mit den Illustrationen von Franz Josef Tripp wurden in 39 Sprachen übersetzt. Weltweit rund zehn Millionen Exemplare wurden nach Angaben des Stuttgarter Thienemann-Verlages davon inzwischen verkauft, allein sechs Millionen in Deutschland.

Es ist eine sagenhafte Welt, die Preußler bis zu seinem Tod im Jahr 2013 in mehr als 30 Büchern geschaffen hat, angeregt durch die Sagen und Märchen, die ihm einst seine Großmutter erzählte. "Die kleine Hexe", "Das kleine Gespenst" und "Der kleine Wassermann" tummeln sich darin ebenso wie "Kater Mikesch" oder "Krabat" – auch in Filmen, Hörspielen und Theaterstücken.

Der Räuber nahm im oberbayerischen Zuhause der Preußlers bei Rosenheim einen besonderen Platz ein. "Der Hotzenplotz war wie so ein komischer entfernter Verwandter, der immer wieder bei uns auftauchte", erinnert sich Susanne Preußler-Bitsch, die seit 25 Jahren den literarischen Betrieb ihres Vaters verwaltet. Sie und ihre zwei Schwestern liebten den fantastischen Gast. "Diesem polternden Großmaul konnte man ein paar Sachen unterschieben", etwa dreckige Fußspuren im Wohnzimmer. "Oder es lag ein Zettel im Kühlschrank: 'Das letzte Stück Kuchen hat der Hotzenplotz stibitzt'."

Kein Vorbild, "aber das soll er ja gerade auch nicht sein", sagt Ines Galling von der Internationalen Jugendbibliothek in München. Hotzenplotz verkörpere das Verbotene, Lustvolle, Anarchische, Egomane und Egozentrische. "Er macht das, was ich nicht darf." Zudem biete die Geschichte Raum für Gespräche über moralische Fragen. "Der Text fordert seine Leser:innen auf, den Räuber und seine Taten zu bewerten", findet Galling. "Gleichzeitig fiebert man mit dem Antihelden Hotzenplotz mit. Wird er gefasst? Oder nicht?"

Autor Otfried Preußler starb im Jahr 2013
Autor Otfried Preußler starb im Jahr 2013 © APA

Auch die Medienwissenschaftlerin Maya Götz gewinnt dem Helden viel Gutes ab, selbst wenn einige Kinder sich erst mal fürchten: "Der Räuber Hotzenplotz ist zwar ein Bösewicht, wirkt aber in seiner Unbeholfenheit liebenswert komisch. Dadurch wird er für Kinder zur beherrschbaren Gefahr. Kinder wissen, dass Kasperl und Sepperl ihn überlisten werden." Darin seien die Kleinen den Erwachsenen sogar überlegen: "Wachtmeister Dimpfelmoser ist so trottelig, dass Kasperl und Sepperl beschließen, seinen Job zu übernehmen, weil sie ihm nichts zutrauen", sagt Götz. Preußler-Bitsch bringt es auf den Punkt: "Der Räuber Hotzenplotz kann sich viel erlauben und am Schluss landet er im Spritzenhaus".

Eingeprägt haben sich auch Figuren wie die zigarrenpaffende Witwe Schlotterbeck und ihr Dackelkrokodil oder "der große Zauberer Petrosilius Zwackelmann", der Kartoffeln so sehr liebt, aber keinen Zauberspruch weiß, um die Schale abzuhexen. So schält Kasperl für ihn und ärgert den Magier nebenbei, indem er dessen Namen verdreht: "Eprosilius Dackelschwanz" oder doch "Zeprodilius Wackelzahn"?

Legendärer Lesestoff: Der Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler
Legendärer Lesestoff: Der Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler © Imago

Zeitlose Bücher – bis auf eine Sache. Die Guten und die Bösen seien Männer, bemerkt Götz. "Frauen bekommen etwas Besonderes geschenkt, eine Musik spielende Kaffeemühle, oder fristen als Unke ihr Leben, bis sie schließlich von Jungen befreit und zur schönen Fee werden können." Dennoch schwärmt auch sie von den Büchern und bescheinigt ihnen einen wundervollen Humor und Tiefgang. "Die Geschichten vom Räuber Hotzenplotz hat Otfried Preußler punktgenau so gestaltet, dass sich Kinder wiederfinden, ihre eigenen Werte bestärkt sehen und an dem spannenden Abenteuer wachsen", analysiert die Medienexpertin.

In einem sind sich alle einig: Vom Hotzenplotz können sich nicht nur Kinder etwas abschauen. "Zu viel Autoritätshörigkeit ist vielleicht auch nicht gut", merkt Galling an. "Ein bisschen kritische Anarchie würzt das Leben – dank Pfefferpistole."