"Eine Freundschaft" ist der Untertitel der Erzählung aus dem Jahr 1982, in der Thomas Bernhard (1931-1989) seine Freundschaft mit Paul Wittgenstein, einem Neffen des Philosophen Ludwig Wittgenstein, schildert. Bernhard habe "nie menschenfreundlicher, nie zärtlicher" geschrieben als in diesem Text, meinte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki.
Grundlage des mit Zustimmung von Thomas Bernhards Erben, Peter Fabjan, veröffentlichten und edierten Textes ist die in der Bibliothek Suhrkamp erschienene Erstausgabe in dritter Auflage, welche die zuletzt von Bernhard autorisierte Version darstellt. Der annotierte Volltext wird mit einem kritischen Stellenkommentar und mehreren Registern zu Personen, Orten, Institutionen und Ereignissen ergänzt.
"Viele Personen, die im Text vorkommen, hat es tatsächlich gegeben. Trotzdem darf man die Erzählung nicht eins zu eins als Autobiografie verstehen. Bernhard hat in verschiedenen Bearbeitungsstufen biografische Details auch wieder entfernt", erklärte die Germanistin Konstanze Fliedl von der ÖAW, die maßgeblich an der neuen Online-Ausgabe beteiligt war, in einer Aussendung.
Anhand der zwei von Bernhard getippten und handschriftlich überarbeiteten Textversionen kann man die Korrekturschritte des Autors nun nachvollziehen. "Besonders in der letzten Überarbeitung ging es darum, Rhythmus in seine Sätze zu bringen, den typischen Bernhard-Sound zu erzeugen", so Fliedl.
"Wittgensteins Neffe" ist die erste digitale Bernhard-Edition, das - skandalumwitterte, 1988 am Burgtheater uraufgeführte - Drama "Heldenplatz" soll folgen. Dass sich die Wissenschafter für "Wittgensteins Neffe" als Pionierprojekt entschieden haben, begründen sie mit dessen Wienbezug und der darin enthaltenen legendären Schilderung der Verleihung des Grillparzerpreises im Jahr 1972 an der ÖAW. Bernhard moniert darin, dass ihn an der Akademie niemand erkennt, obwohl er doch geehrt werden soll: "Eine Akademie, die mir ihren Preis gibt und mich überhaupt nicht kennt und die mich, weil ich mich ihr nicht zu erkennen gegeben habe, gleich mit strafenden und durchbohrenden Blicken überfallt, hätte noch etwas viel Perfideres verdient, dachte ich."
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