Man stelle sich als Freund brillanter Satire und Hochkomik eine Dichterrunde vor, in der ausnahmslos hochkarätige Repräsentanten des Genres vertreten sind. Auch Parodie und Nonsens gehen ihnen souverän von der Hand. Und wenn es sein muss, pfeffern sie auch mit scharfer Wortmunition ins morsche geistige Unterholz oder holen angebliche Dichterfürsten vom Sockel. Ein paar Namen aus der Runde: Robert Gernhardt, Max Goldt, Chlodwig Poth, Eugen Egner, F. W. Bernstein, Eckhard Henscheid, Wiglaf Droste. Und mittendrin sitzt ein weiterer Meister des geschliffenen Wortes, Walter Schlosser heißt er in diesem wunderbaren Buch, Gerhard Henschel ist sein richtiger Name. Der wiederum setzt mit seinem „Schauerroman“ seine hervorragende, ziemlich voluminöse Deutschland-Chronik fort, die mittlerweile rund 5000 Seiten umfasst. Ein Ende ist noch lange nicht in Sicht, denn jetzt ist Henschel mit seinem Alter Ego in den Jahren von 1992 und bis 1994 eingetroffen.
Nach dem Mauerfall
Das ist jener Zeitraum, in dem Henschel mit seinem schier unendlichen Pointen-Fundus auch begann, das Satiremagazin „Titanic“ erheblich zu bereichern und regen Ideen- und Gedankenaustausch mit den oben genannten Autoren pflegte.
Aber kurz der Reihe nach. Im Jahr 2002 publizierte Henschel unter dem Titel „Die Liebenden“ die Geschichte seiner Eltern, in den Kriegs- und Nachkriegsjahren beginnend. Den Familiennamen änderte er von Henschel auf Schlosser, zu Auftrittsehren kommt auch ein Sprössling. Walter heißt er im Roman, schon recht früh entschlossen, sich der Literatur und Sprachkunst zu widmen.
Eine Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf. Zwei Jahre später wollte der Autor seinem Jungspatz Walter noch eine Ehrenrunde gönnen, mit dem „Kindheitsroman“. Ein Schreibmarathon folgte. Denn nun ist Henschel bei Band neun angelangt. Und es ist und bleibt eine famose Deutschland-Chronik, ergänzt durch Ereignisse aus aller Welt, geschildert bloß aus einem etwas schrägeren Blickwinkel, den man auch als Durchblick bezeichnen könnte.
Lakonisch
Die Mühen der deutschen Wiedervereinigung spielen in diesem „Schauerroman“ eine wichtige Rolle, das Lebensgefühl jener Jahre kommt nicht zu kurz, die Fußball-EM auch nicht. Wolf Biermann, Hans-DietrichGenscher und US-Präsident Bush bekommen eine auf die Mütze, Heidegger und Grass ebenfalls. Faszinierend ist stets der lakonische und anscheinend so lockere und leichte Erzählton, der ein großes Maß an Tiefgang besitzt. Anders, besser.
Lesetipp: Gerhard Henschel. Schauerroman. Hoffmann & Campe. 586 Seiten, 26,80 Euro.
Werner Krause