14 Millionen Bücher weltweit verkauft, Übersetzungen in 24 Sprachen, auch in Großbritannien und in den USA verlegt. Fünf seiner Bücher wurden verfilmt, und sein Erstling, „Die Therapie“ aus dem Jahr 2006, wird ab März für Amazon zum sechsteiligen TV-Event. Keine Frage: der Berliner Sebastian Fitzek, seit 13. Oktober 50 Jahre alt, ist ein internationaler König der Psychothriller. Zu einer Lesung aus seinem neuesten 400-Seiten-Opus „Playlist“ kam er jetzt zu „Thalia“ nach Wien.
Herr Fitzek, gibt es zu Wien eine besondere Verbundenheit?
SEBASTIAN FITZEK: Ja, die gibt es, seit ich im Jahr 2007 beim allerersten Krimi-Festival zu Gast war und hier erfahren habe, dass ich mit meinem ersten Hardcover-Buch „Passagier 23“ in der SPIEGEL-Hitparade eben Nummer eins geworden war. Das haben wir gründlich gefeiert.
Noch andere Erlebnisse hier?
Ja, mehrere Dinge. Zum Beispiel habe ich mitgekriegt, dass eine Frau während meiner Lesung aus „Das Kind“ versucht hat, ein Buch zu klauen. Na, waren die auf zack! Der Hausdetektiv war sofort auf ihren Spuren, dann kam sogar die Polizei. Seither rate ich meinen Fans: Wenn ihr Bücher klauen wollt, dann lieber nicht in Wien!
Wie wurden Sie zum Psychothriller-Autor Nummer eins im deutschen Sprachraum?
Seit meiner Kindheit lese ich eifrig. Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ und die Kinderbücher des Regisseurs Alfred Weidenmann haben mir die Welt der Literatur erschlossen, und immer, wenn ich ein gutes Buch weglegte, dachte ich nach, ob ich auch so was schreiben könnte.
Mit 35 haben Sie es geschafft, mit „Die Therapie“, die jetzt verfilmt wird?
Interessanterweise gab es schon damals viele Leute, die sagten: „Das m u s s ein Film werden!“
Was sehen Sie als Geheimnis Ihres Erfolges? Dass Sie sich vom Alltag inspirieren lassen?
Vom Skurrilen des Alltags.
Da wäre ja schon „Die Therapie“ ein gutes Beispiel?
Ja, denn es geht auf eine Idee zurück, die ich im Jahr 2000 im Wartezimmer eines Orthopäden hatte, als ich auf meine Freundin wartete. Sie wollte nur einen Verbandswechsel machen, aber sie kam und kam nicht raus. Auf meine Fragen blieb die Arzthelferin verschlossen, ich wurde nicht aufgerufen, und allmählich kam mir der Gedanke: Was ist, wenn einer seine Freundin vom Arzt abholen möchte, und es stellt sich heraus, dass sie gar nicht da war, da ist? Damit begann sozusagen meine Ära der selbst geschriebenen Bücher. Zunächst gab es aber Absagen von 13 Verlagen, ich habe den Text drei Mal umgeschrieben, bis das Opus endlich im Buchhandel erschien.
Somit ist die Verfilmung als Sechsteiler sicher ein Highlight für Sie. Haben Sie auch an den Drehbüchern mitgearbeitet?
Daran bin ich so verzweifelt, dass ich fast selbst in Therapie gekommen wäre. Da stand für mich fest: Ich schreibe keine Drehbücher, das kann ich nicht!
Und haben Sie Einfluss auf die Besetzung?
Theoretisch schon, doch praktisch ist das schwierig. Das ist wie die Sache mit den Millionen Bundestrainern, die sich einbilden, die beste Nationalmannschaft aufstellen zu können. In Wirklichkeit ist es nämlich unglaublich schwierig, ein Team, einen Cast mit der richtigen Chemie zueinander zusammenzustellen.
Wo wird gedreht?
Jedenfalls in Berlin, und an der Nord- oder Ostsee, weil wir auch eine Insel brauchen.
Ihr neuestes Buch, Playlist“, so der Titel des Romans, „Playlist“, ist „ein Thriller wie ein düsteres Konzert“. Ein 15jähriges Mädchen verschwindet auf dem Weg zur Schule spurlos. Ein Privatermittler stößt auf einen Musikdienst im Internet, über den Feline, das Mädchen, immer seine Lieblingssongs hörte. Erstaunlicherweise wurde plötzlich die Playlist verändert. Steckt in der Auswahl der Songs ein versteckter Hinweis? 15 Lieder führen zur Lösung des Rätsels. Tatsächlich gibt es zum Buch eine CD mit 15 Songs. Wie soll man lesen und hören verbinden?
Also, ich halte wenig davon, den Lesefluss zu unterbrechen. Ich würde daher empfehlen, sich erst die CD anzuhören – übrigens ein hervorragendes Album –, dann das Buch zu lesen und am Ende noch einmal das Album zu spielen. Vielleicht hört man es dann mit anderen Ohren.
Wie kam es zu dieser doch ziemlich ungewöhnlichen Idee?
Ich liebe Musik, wollte schon immer Musiker werden, habe es aber nicht geschafft. Nun, vielleicht war unsere Schülerband nicht gut genug, oder ich war als Schlagzeuger nicht für die großen Bühnen dieser Welt geschaffen. Jedenfalls habe ich für zwei Musiksender gearbeitet, und bei „Playlist“ sah ich schließlich die Gelegenheit, meine beiden großen Leidenschaften zu vereinen. Das ist ein bisschen wie bei eurem Tiroler Thriller-Autor Bernhard Aichner, den ich sehr schätze. Er hat gesagt, dass er einmal Fotograf werden wollte, und jetzt hat er in seiner neuen Buchserie einen Fotografen in den Mittelpunkt gestellt.
Gibt es noch ein schönes Beispiel für den Einfluss des Alltags auf Ihre Ideen?
Da klopfte einmal der Postbote bei mir an. Er hatte ein Paket für meinen Nachbarn, der aber nicht zu Hause war. Ich kannte diesen Nachbarn gar nicht, nahm das Paket aber an. Nun: Wer keine Bücher schreibt, macht das einfach so und läutet dann beim Nachbarn, wenn der zurückkommt, an. Wer aber schreibt, beginnt sich plötzlich Fragen zu stellen. Ja, was könnte da eigentlich drin sein? Vielleicht Gift? Vielleicht Sprengstoff? Und so weiter.
Sie haben drei Söhne, eine Tochter und – nach Ihrer Scheidung – eine neue Freundin. Wie verläuft Ihr Schreibprozess?
Das Schreiben selbst ist eine einsame Sache. Das macht man allein. Ansonsten aber kann ich ganz gut delegieren. Mein hervorragendes Team hält mir den Kopf frei, damit ich mich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Die Familie – ja, die kommt ein bisschen zu kurz. Das ist vielleicht die Krankheit aller Kreativen.
Bei Ihren Verkaufszahlen müssten Sie faktisch der Mister Überdrüber sein. Wie kommen Sie dann mit den oft total verschiedenen Meinungen der Kritiker zurecht? Die Neue Zürcher Zeitung etwa schrieb, als „Der Nachtwandler“ rauskam: „Der Autor hat nicht nur den Rahmen der Realität, sondern gleichzeitig die Grenzen der Vorstellungskraft gesprengt“. In einer Besprechung des Pädophilen-Krimis „Das Joshua-Profil“ hieß es, dass Sie „die „Nullinie der deutschen Gegenwartsliteratur markieren“. Nach Erscheinen von „Der Insasse“ wurde geschrieben: „Das ist kein Roman, das ist eine Kloake“, und der Psychothriller „Das Geschenk“ war für einen Kritiker ein „mieser Gewaltporno“. Der SPIEGEL hingegen bezeichnete Sie als einen der „professionellsten und handwerklich zuverlässigsten Thriller-Autoren“, „Passagier 23“ wurde zum Krimi des Monats, als „sehr dicht geschriebener, sehr gewalttätiger Thriller, der von der ersten bis zur letzten Zeile funktioniert“?
Das sind Fragen, die sich fast jeder Mensch auf diesem Planeten stellen kann. Wir leben ja in einem Bewertungszeitalter, alles wird in den sozialen Medien mit Sternchen oder Kommentaren bewertet. Der Mensch ist für diese Bewertungen eigentlich nicht geschaffen. Sehen Sie: Mein Verlagsteam ist auch sehr kritisch, aber wenn jemand von Ihnen Kritik äußert, dann weiß ich, er tut es, damit ich besser werde. Das akzeptiere ich. Das andere nehme ich einfach nicht zur Kenntnis. Ob dieser Situation in den sozialen Medien ergibt sich jedoch auch, dass viele Menschen hinter ihren intellektuellen Möglichkeiten zurückbleiben, weil sie einfach Angst haben. Sie haben aufgehört, mutig zu sein.
Gibt es Film- oder Leseerlebnisse, die Sie „umgehaut“ haben?
Dazu gehört sicher John Carpenters Film „Die Klapperschlange“ mit Kurt Russell, diese dystopische Fiktion. Ganz Manhatten as Hochsicherheitsgefängnis, und ein Präsident, der mit der Air Force One abstürzt. Dazu „Angel Heart“ mit Mickey Rourke. Der war dann jahrelang mein Lieblingsschauspieler. Oder Tom Sharpes „Puppenmord“. Oder „Fegefeuer der Eitelkeiten“. Das Buch, nicht die Verfilmung. Daraus haben sie fürs KIno eine Komödie gemacht, dabei ist das ein tolles Drama.
Hat der Erfinder des Unheimlichen schon selbst Unheimliches erlebt?
Erst jüngst. Ich kam am späten Nachmittag in mein Büro. Plötzlich hörte ich schabende Geräusche in der Wand. Ich dachte, das sei vielleicht ein Tier. Ich schob ein Möbelstück weg, und was sah ich dahinter? Ein Loch, ein Kabel und eine zitternde Hand. Eine Stimme sagte: „Ich bin Elektriker, und ich soll einige Kabel verlegen“. Ich glaubte ihm, wir schüttelten einander durch das Loch die Hände. Aber Sie können sich bei einem wie mir vorstellen: Plötzlich tauchen trotzdem Bedenken auf. Man fragt sich: War das nicht doch ein Einbrecher? Was hat er in der Nachbarwohnung wirklich gewollt? Ja, und generell kann ich mir ganz gut Angst im Dunkeln machen. Das schaffe ich von allein. Aber wahrscheinlich ist das inspirierend. Ich stülpe meine Albträume über andere und schlafe dann befreit ein. Im Gegensatz zu vielen Lesern, denen ich Angst mache, und sie bezahlen auch noch dafür.
Und das genaue Gegenteil: Worüber haben Sie zuletzt am meisten gelacht?
Über mich.
Ludwig Heinrich