Ein Vorgriff ist unvermeidlich angesichts dieses Romanungetüms, das in einem vergammelten Vergnügungspark völlig verdreckter Riesensaurier beginnt und dort, nach einer Hetzjagd im doppelten Wortsinn, auch sein Ende findet. Die Wirklichkeit sei viel freier noch und erfundener, als jegliche Erzählung dies zustande bringen würde, resümiert einer der Protagonisten am Ende. Ermattet, erschöpft, gezeichnet vom großen, an Absurditäten unüberbietbaren Halali durchs seelische Unterholz.
Er mutet all seinen Figuren, eher Karikaturen, sehr viel zu, dieser Ferdinand Schmalz, der 2017 mit einem Auszug aus „Mein Lieblingstier heißt Winter“ den Bachmannpreis gewann, mit diabolischen Gags, mit List und Hinterlist, mit Skurrilitäten am laufenden Band. Mit dem nun vorliegenden Debütroman erfüllt er die hochgesteckten Erwartungen nicht; er übertrifft sie noch, erheblich sogar. Souverän zieht er an etlichen Erzählsträngen.
Wenn es denn einen roten Faden in diesem kriminellen Furioso gibt, dann sorgt dafür Franz Schlicht. Er dreht als Vertreter für Tiefkühlkost frustriert seine Runden. Einer seiner Stammkunden, der seit Jahren pünktlich sein geliebtes Rehragout erhält, weiht ihn in ein düsteres Geheimnis ein. Eine schwere Krankheit zerfrisst ihn innerlich, er möchte mit einer Überdosis an Schlaftabletten in seine Tiefkühltruhe steigen, dort entschlafen und von Franz in einem Waldidyll zur letzten Ruhe gebettet werden. Allein, als der Frostmann die „Leiche“ abholen will, ist sie verschwunden. Von da an gilt: Über allen Gipfeln ist Ragout, hirnverbrannt.
Davor und danach ins völlig schräge Spiel kommen: Ein obskurer Selbstmörder-Club, Geheimbündler und Verschwörungstheoretiker, ein Weltunterganghofer, ein korrupter Ministerialrat, der verbotenen Nazi-Weihnachtsschmuck sammelt und groß in halbseidene Immobiliengeschäfte einsteigen möchte, mit einer Oligarchin (ja, ja) als Geldgeberin, ein rotfaktoriger Kanarienvogel, eine Saubermacherin mit dem Beinamen Schimmelteufel und und und.
Mit jedem Satz trifft Ferdinand Schmalz ins Tiefschwarze, doch all die Pointen und das Morbide, das er serviert, entsprechen seiner einzigartigen Methode, in gewohnt verdrehter Kunstsprache die austriakische Wirklichkeit am Nasenring in die Arena zu holen. Sie wirkt zerzaust, wie der Kanari letztlich auch. Ein großer Wurf mit Einschlagkratern.
Werner Krause