Der Titel Ihres neuen Buches ist auch Lebensprogramm, denn sowohl mit dem Lachen als auch dem Sterben haben Sie sich viel beschäftigt. Wann haben Sie denn das letzte Mal einen Menschen lachen gehört?
FRANZ SCHUH: Dieser Mensch war ich selbst. Hat mich jemand gefragt: „Sind Sie der Herr Nitsch?“ Ich antwortete wahrheitsgemäß: „Nein, bin ich nicht. Und ich würde Sie bitten, mich mit jemandem anderen zu verwechseln.“ Sagt der: „Na, mit dem Johnny Depp kann ich Sie aber schwer verwechseln.“ Da habe ich herzlich gelacht.


Sie schreiben, der Wiener Schmäh habe seine Zeit überschritten, aber einer seiner Rohstoffe wird bleiben: der zur ohnmächtigen Wut gesteigerte Grant. Macht Sie die Globalisierung des Grants grantig?
Der Grant ist eine ambivalente Angelegenheit. Die Wienerische Variante führt sehr stark zum Raunzen. Und Raunzen heißt einerseits, nicht einverstanden zu sein. Und andererseits, nicht bereit zu sein, irgendetwas zu ändern. Das Jammern und diese Passivität, das ist eine Lebenshaltung, die für viele anziehend ist, weil jeder in seinem Leben Verluste hat. Und die Veränderungsunfähigkeit, die eben mit dem Grant einhergeht, ruht in einem Panzer der schlechten Laune.


Was wir derzeit erleben, ist ein Kollektiv der schlechten Laune.
Die Globalisierung des Grants, der eine sehr aggressive Form angenommen hat, hat eine bestimmte Struktur. Viele Menschen haben das Gefühl, dass alles falsch ist. Gleichzeitig haben sie das Gefühl, dass sie keine Möglichkeit haben, in diese ihrer Meinung nach falschen Prozesse einzugreifen – außer durch Wutausbrüche. Dann entsteht etwas, das Hannah Arendt den Pöbel nennt. Die Leute, die in Washington das Kapitol und in Berlin den Reichstag gestürmt haben, das ist der klassische Pöbel. Das sind Menschen, die nicht verankert sind in einer Gesellschaft, in der sie leben müssen.


Wie umgehen mit diesen Menschen?
Wenn man die Phrasen, wonach man diese Menschen einbinden soll und nicht ausgrenzen, beherzigt, dann besteht die Gefahr, dass sie den Mittelstand infiltrieren. Der Kickl ist ja auch durch eine politische Partei normalisiert worden. Man darf auch nicht glauben, dass man diese Menschen zähmen kann. Man muss ihnen klar sagen, dass man nichts mit ihnen zu tun haben will.


Sie haben in Zusammenhang mit Corona folgenden Satz geschrieben: „Man sollte skeptisch bleiben, aber zugleich stets dazu imstande sein anzuerkennen, was man bei Verstand nicht abstreiten kann.“ Was halten Sie davon, diesen Satz zu plakatieren?
Ich hätte nichts dagegen. Ich komme ja aus einer Zeit, in der man versucht hat, das Plakat politisch wieder scharfzumachen. Jetzt lachen halt die schönen Pop-Sänger von den Wänden. Bei dieser ganzen Coronageschichte und den offenkundigen Schwierigkeiten bei Entscheidungsprozessen fällt mir ständig die Differenz zwischen Verstand und Vernunft ein. Die Epidemiologen können sagen, was sie wollen. Aber dass man aus deren Erkenntnissen eine Aktion macht, die die Gefahren für die Gesellschaft mildert, dazu braucht’s Vernunft. Die Vermittlung einer verstandesmäßigen Erkenntnis in eine gesellschaftlich nützliche Tat, das ist die große Schwierigkeit.


Das Virus hat auch Sie heimgesucht. Wie geht es Ihnen jetzt?
Ich war nach mehreren Operationen im Pflegeheim, lag eine Zeit lang sogar im Koma. In dieser Situation hat mich auch noch Corona erwischt, aber ich hatte erstaunlicherweise überhaupt keine Symptome. Irgendwie hat mich das Virus übersehen, worüber ich nicht böse bin. Ich habe genug andere Krankheiten am Hals.

Buchtipp: Franz Schuh. Lachen und Sterben.
Zsolnay, 336 Seiten, 26,95 Euro.

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„Weder blauäugige Optimisten noch resignierende Pessimisten wollen wir sein, sondern Possibilisten; also Menschen, die Möglichkeiten sehen“, schreiben Sie. Ist es möglich, dass die Possibilisten eher in der Minderzahl sind?
Das ist gut möglich, aber sie haben relativ viel Einfluss. Diese Menschen, die einen guten Möglichkeitssinn haben, der sich mit dem Wirklichkeitssinn nicht schlägt, sind eine echte Elite im positiven Sinn. Die Möglichkeitsmenschen sind in der Lage, die Unmöglichkeiten des Lebens ein Stück weit zu relativieren.


Wer ist für Sie ein Possibilist?
Kreisky war einer. Wobei: Die Widersprüche einer Gesellschaft schleifen auch einen charismatischen Menschen ab. Aber er behält immer noch so viel von Eigenwillen, dass er erstens einen Plan hat und zweitens diesen Plan durchsetzen kann. Und Kreiskys Plan war eben eine generelle Modernisierung Österreichs.


Reden wir über den Tod, Herr Schuh – und das Danach. Der Nichtgläubige glaubt, dass es nach dem Tod nichts gibt. Und der Gläubige glaubt, dass es das Nichts nicht gibt. Aber wissen tun beide nichts, oder?
Glauben und Wissen hängen aneinander. Ich muss glauben, dass ich etwas wissen kann. Das ist ein schöner Beleg für diese Zusammengehörigkeit. Wenn ich an irgendwelche Fantasieprodukte glaube – Verschwörungstheorien zum Beispiel –, dann bin ich eher auf der Seite des Wahnsinns. Aber selbst bei der Religion ist es so, dass sie nicht nur aus Glaubenssätzen besteht und auch nicht nur aus den Verwerflichkeiten von Kirchenangestellten. Die Kirchen haben ja eine Geschichte. Da ist unglaublich viel hineingeflossen, auch vonseiten der Philosophie. Das sind große Anstrengungen, die Welt, sich selbst und die Transzendenz zu verstehen, das ist nicht einfach bloßes Glauben.


Sie beenden Ihr neues Buch mit einer Szene aus der „Schwarzwaldklinik“. Professor Brinkmann kommt zu spät zu einem Konzert und sagt: „Ein akuter Blinddarm nimmt keine Rücksicht auf Mozart.“ Wann werden wir wieder gemeinsam Mozart hören?
Die menschliche Kultiviertheit verhält sich diskrepant zu Gebrechlichkeit und Anfälligkeit. Ich habe mich lange mit dem Problem der Menschenwürde beschäftigt und behaupte, dass sich der kranke Mensch irgendwie nicht mit Mozart verträgt. Aber dieses Nichtvertragen ist so ähnlich wie mit Mann und Frau. Da ist eine unüberbrückbare, aber harmonisierbare Distanz. Man muss an seiner Verständnisfähigkeit für das Andere arbeiten. Passen also der akute Blinddarm und Mozart zusammen? Ein Fehler der Philosophie ist, dass sie vom gesunden Menschen ausgeht. Freud hat bewiesen: Der Mensch ist nicht intakt, ist nicht heil.


Also Mozart erst wieder, wenn der Blinddarm draußen ist?
Schauen Sie, es braucht einem ja nur ein bissl was wehzutun, und schon mag man Mozart nicht mehr hören. Aber das macht die Qualität der Sache aus. Denn Mozart bleibt prekär! Das gibt Hoffnung.