Bisher kannte man Sie als Verfasser von Gegenwartskrimis, jetzt widmen Sie sich Triest und der österreichischen Seefahrt vor dem Ersten Weltkrieg. Was brachte Sie auf Zeit und Ort?
GÜNTER NEUWIRTH: Ich beschäftigte mich seit meinem Studium der Literatur- und Philosophiegeschichte mit historischen Themen, 2014 erschien mein großer historischer Roman „Der blinde Spiegel“ im Schwerpunktjahr 100 Jahre Erster Weltkrieg. Nach zehn Gegenwartskrimis war es für mich spannend, mich wieder einem historischen Stoff zu widmen. Und wenn man so wie ich zwar pausenlos schreibt, aber nicht Millionen oder Milliarden Bücher verkauft, um all den Zaster in Monte Carlo auf den Putz zu hauen, dann braucht man beim Schreiben halt eher die „literarische“ Herausforderung. Und ich mag Schiffe, Triest und die Adria, Ort und Zeit haben sich wie Zugvögel im meinem Kopf eingenistet.
Wie haben Sie den Zeitkolorit recherchiert?
Es gibt nur eine funktionierende Methode: Lesen! Zum einen habe ich bei Besuchen in Triest eine hübsche Sammlung italienischer Bücher über die Zeit zusammengetragen, zum anderen gibt es erstklassige Literatur in deutscher Sprache. Mit Büchern kann ich also Zeitgeschehen rekonstruieren. Was den Alltag der Figuren betrifft, bilden die frei zugänglichen digitalisierten Zeitungen aus der Zeit 1870 bis 1920 auf der Website der Triester Biblioteca Civica einen wertvollen Fundus.
Worauf muss man sprachlich achten, wenn man einen Roman anno 1907 ansiedelt?
Auf zweierlei. Wenn ich die Sprache von 1907 exakt nachzubilden versuche, liest das heute niemand. Der schwülstige Stil von 1900 ist Vergangenheit. Aber mit einer Sprache, wie ich sie in meinen Wiener Großstadtkrimis mit Inspektor Hoffmann verwende, einen Roman in der Donaumonarchie zu schreiben, erzeugt Unsinn. Immer wieder zieht es mir die Schuhe aus, wenn in historischen Romanen oder Filmen gesprochen wird, wie im Shoppingcenter oder Youtube-Channel. Meine Methode ist folgende: Die erzählenden Passagen sind sparsam und ökonomisch formuliert, doch in den direkten Rede kann ich mich sehr viel näher an den Tonfall der Vergangenheit annähern. Es muss beim Lesen ein Sound entstehen, der einen raus der Gegenwart, rein in die Vergangenheit katapultiert.
Was verbindet uns als Leser mit den Figuren Ihres Romans?
Das pralle Leben, die nie endende Liebe und der unausweichliche Tod. Menschen lieben Geschichten, egal ob die Stammesälteste am Lagerfeuer Schnurren erzählt oder Teenager im Internet die neuesten Serien streamen. Das Bedürfnis der Menschen nach Geschichten ist mein Arbeitsauftrag, daher nehme ich jede Mühe auf mich, die Verbindung zwischen Publikum und Geschichte lebendig zu gestalten.
Wird Ihr Inspektor Bruno in Serie gehen?
Mein Plan ist es, eine Trilogie mit Bruno Zabini zu verfassen, Titel: Triest 1907. Dieser Tage stehe ich knapp vor Abschluss des zweiten Romans, der ein bisschen an den ersten anknüpft, aber natürlich eine eigenständige Geschichte erzählt. Serienschreiben ist, was den narrativen Atem betrifft, die Königsdisziplin der Schriftstellerei. Wenn die Trilogie gut aufgenommen wird, Publikum und Verlag noch mehr wollen, könnte ich eine weitere Trilogie folgen lassen mit dem Titel: Adria 1908. Aber das ist noch unsicher. Schließlich will ich auch mit meinem Opus magnum vorankommen, einer Tetralogie groß angelegter Romane mit dem Arbeitstitel „Die vier Jahreszeiten“. Mal sehen, was noch passiert.
Ute Baumhackl