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Wie seltsam frisch Erinnerungen doch sein können. Aber sie gelten ja auch einem Dichterfreund, der weltweit mit einigen seiner Bühnenwerke die Schauspielhäuser entstaubte und sie mit oft verstörendem Glanz versah: Wolfgang Bauer, „Magic Wolfi“ und „Bürgerschreck“ in Personalunion, verewigt als Künstler mit 100 Eigenschaften. Zumindest von einigen soll hier die Rede sein.
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Am Anfang war das Läuten der Schulglocke. Und die Rückkehr ins Klassenzimmer. Der sonst eher phlegmatisch wirkende Geschichteprofessor, der Herr Bauer, riss die Türe auf, stürmte zu seinem Pult und kramte in seiner prall gefüllten Aktentasche. Er holte ein dickes Manuskript hervor, pfefferte es auf den Tisch und kramte erneut in seiner Tasche. Diesmal kamen mehrere Zeitungsausschnitte zum Vorschein. Mit der prallen Hand donnerte er auf das Manuskript. „Das müsst ihr lesen, auch wenn ihr es ohnehin nicht verstehts.“ Kurz überflog er die Zeitungsausschnitte, dann begann er, daraus vorzulesen. Es handelte sich um Lobeshymnen über einen ebenso genialen wie irritierenden Dichter aus Graz. Und es war die erste Bauer-Lesung, gehalten von seinem Vater, dem ordentlich viel Stolz ins Gesicht geschrieben war.
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Einige Jahre später folgte die erste persönliche Begegnung mit Wolfgang Bauer. Ein Interview in seiner Wohnung war geplant, die Nerven flatterten erheblich. Der Autor feierte rund um den Erdball Triumphe, er bildete gemeinsam mit Peter Handke das Pop-Duo der Gegenwartsliteratur – und er galt als launenhaft und unberechenbar. Das Gespräch stand unter Eklat-Verdacht. Nichts davon traf zu. „Servaaas!“, lautete Bauers Begrüßung, „eigentlich sind wir ja eh Kollegen.“ Dann folgte jenes dreimalige „He, he, he“, Bauers Markenzeichen. Es konnte fröhliches oder freundliches Lachen ebenso bedeuten wie diebisches, höhnisches Gelächter, stets ein wenig lausbübisch. Oder einen getarnten Marlboro-Huster.
Tatsächlich schrieb Bauer in seinen Anfangsjahren als Autor auch Theaterkritiken für die Kleine Zeitung. Einmal sogar über eine Aufführung, die kurzfristig wegen eines Krankheitsfalls abgesagt werden musste. Bauer fand sie dennoch großartig. Er verbrachte den Abend allerdings anderswo.
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Wolfgang Bauer wurde zum Dichterfreund, empathisch, offen und ehrlich. Kurz vor einer seiner Lesungen stand er allein in einer Ecke, er wirkte extrem angespannt. Auf die Frage, ob es ihm nicht gut gehe, antworte er fast grimmig: „Du Depp hast ja keine Ahnung. I bin vor jeder Lesung nervös wie ein kleines Kind.“ Der Fieberkopf und der Kindskopf in Personalunion. Aber Wolfgang Bauer gab dem Publikum bei jedem seiner exzessiven Auftritte, angesiedelt zwischen Poesie-Kabarett und Performance, alles, was es von ihm erwartete. Er verausgabte sich völlig, bis ihm die Stimme versagte. Und das konnte nach Stunden der Fall sein.
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Bei einer zufälligen Begegnung in der Herrengasse strahlte Wolfi über das gesamte, hochrote Gesicht. Er war vor einigen Stunden zurückgekehrt von einem mehrtägigen Symposion, ganz ihm und seiner Dichtkunst gewidmet, reich an Lob und vielschichtigen Interpretationen. Bauers unvergessliches Statement: „Unglaublich, ich hätt mir nie gedacht, was ich mir alles denk beim Schreiben.“
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Besuch bei ihm daheim. Bauer studierte einen reichlich hohen Poststapel. Ein Brief faszinierte ihn. Er enthielt die Nachricht über die Premiere von „Magic Afternoon“ in Seoul, in südkoreanischer Sprache. „Boah, da müsste man dabei sein! Stell dir vor, die spielen dein Stück, und du verstehst kein einziges Wort. Großartig, genial.“ Sofort begann er in einer fiktiven Sprache zu improvisieren, ein Wortsalat nach asiatischer Art.
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Kleiner Einstreuer. Einige Tage vor der Premiere eines Bauer-Stücks im Grazer Schauspielhaus stellte sich spontan eine Frage an eine der netten Damen an der Garderobe ein. Ob denn noch ein Operngucker für die Premiere zu haben sei und ob man diesen vorbestellen könne. Die Dame lachte herzlich. „Lieber Herr, da kommen sie viel zu spät. Wir sind seit Wochen völlig ausgebucht. Auch für die weiteren Aufführungen. Beim Bauer klingeln die Kassen.“ Tja, man muss sich eben ein genaues Bild machen, das hat jetzt natürlich rein gar nichts damit zu tun, dass Inszenierungen von Bauer-Stücken ein ziemlicher Garant für die eine oder andere Nacktszene waren. Bauers Reaktion, als er davon erfuhr, dürfte klar sein. „He, he, he, die braven, empörten Bürger wollen halt auch was sehen für ihr Geld“.
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Die Nachricht vom Tod von Wolfgang Bauer kam bei einem Italien-Aufenthalt. Als Eiltmeldung. Nichts, rein gar nichts eilte mehr. Für das nachfolgende Schweigen erfand selbst der Dichter, der so gerne auf unterschiedlichen Zeitebenen tanzte, kein Maß. Jetzt zu schreiben, dass irgendwo im Tal eine Glocke läutete, eine Schulglocke gar, wäre frei erfunden. Aber vielleicht gilt das ja für alles andere auch.
Werner Krause