Rechtzeitig zum 140. Geburtstag von Robert Musil ist der 10. Band der Musil-Gesamtausgabe erschienen. Worum geht es darin?
WALTER FANTA: Die Zeitschriften- und Zeitungstexte von Robert Musil. Konkret habe ich sie in drei Bänden gesammelt, angefangen mit Band Nr. 9, der im Februar erschienen ist bis Band Nr. 11, der kommenden Februar herauskommt – insgesamt sind das über 1500 Seiten. Ich habe mich dazu entschieden, die Artikel chronologisch darzustellen und nicht thematisch oder der Form nach.
Warum?
Weil Musil unheimlich viel geschrieben hat, von Essays über Rezensionen bis zu Glossen. Zwischendrin sind auch immer wieder Teile aus dem „Mann ohne Eigenschaften“ erschienen – und bei all diesen Texten fließt vieles ineinander. Nicht jeder Essay ist nur ein Essay, oft ist es gleichzeitig eine Rezension und ein Prosatext ist gleichzeitig auch eine Glosse. Ich wollte Schubladen vermeiden und aufzeigen, dass Robert Musil Themen, die ihn umgetrieben haben, durch alle seine Texte durchexerziert hat.
Welche Themen waren das?
Das geht vom Sport über Mode bis hin zu naturwissenschaftlichen Themen wie dem Ursprung der Wale. Er hat nicht nur ästhetische oder philosophische Probleme gewälzt, sondern auch viele Rezensionen von Sachbüchern veröffentlicht. Eigentlich wollte Musil ja als Kulturredakteur arbeiten, aber das hat nicht geklappt, und so hat er sich aus finanziellen Gründen als „scriptor honoris causa“ (so hat er sich selber in einem Brief genannt) für Buchrezensionen vor allem bei der Prager Presse angedient.
Robert Musil hat ja eigentlich als psychologischer Fachbeirat im Heeresmuseum gearbeitet . . .
Ja, aber den Job hat er verloren, weil er lieber an seinen Roman geschrieben hat. Das heißt, er stand ohne fixes Einkommen da und musste daher vermehrt für Zeitungen schreiben. Im Jahr 1924 hat er dann mit Rowohlt einen Vertrag über seinen „Mann ohne Eigenschaften“ abgeschlossen, da nimmt die Kritikertätigkeit dann ab. In den 1930er-Jahren während des Ständestaates hat er kaum mehr in Zeitungen publiziert.
Im März 1919 plädierte Robert Musil in der Neuen Rundschau für die unter seinen Landsleuten in der Nachkriegszeit verbreitete Forderung eines Anschlusses an Deutschland mit der Begründung, eine eigenständige österreichische Kultur sei doch nur Legende. Hat er seine Meinung später publizistisch geändert?
Musil teilte seine Skepsis gegenüber der jungen österreichischen Republik damals mit vielen. Ein demokratisches Großdeutschland schien ihm die bessere Lösung. Der Vorstellung von der alten österreichischen Kultur begegnete er immer mit Ironie, das kann man im „Mann ohne Eigenschaften“ nachlesen. Aber mit der Ironie ist das so eine Sache. Sie meint ja immer AUCH DAS GEGENTEIL. In den 1930er Jahren begann Musil die Habsburgermonarchie immer mehr mit einem verklärten Blick zu sehen. Er wollte aber lieber als ein „deutscher“ denn als ein „österreichischer“ Schriftsteller Weltruhm erlangen.
Hat er sich auch sonst häufig politisch geäußert?
Ja, aber diese Artikel hat er oft nicht namentlich gezeichnet. So hat er sich unter anderem gefragt: „Braucht Österreich die große Koalition?“ oder er hielt das Berufsheer für Geldverschwendung, denn bei einem Angriff würde es ohnehin gleich überrannt werden.
War letzteres vielleicht auch eine Retourkutsche für seine Entlassung aus dem Heeresministerium?
(lacht): Ja, das kann sein.
Wie viele Bände der Gesamtausgabe sind geplant?
Insgesamt 12 Bände. Der letzte wird sich mit den mehr oder weniger fertigen, aber nie publizierten Texten aus dem Nachlass beschäftigen. Aber ich fürchte, ich habe mich ordentlich verkalkuliert . . .
Warum?
Weil noch die ganzen Briefe - und es gibt Tausende davon – sowie die Tagebuch-Hefte fehlen. Da könnte man zwölf weitere Bände damit füllen. Mal schauen, ob ich das auch noch schaffe.
Sechs Bände haben Sie allein mit dem „Mann ohne Eigenschaften“ gefüllt. Was hat da so viel Platz gebraucht?
Es ist einfach ein Mammutwerk. Man muss sich vorstellen: Als Robert Musil 1942 im Schweizer Exil starb, hinterließ er 12.000 Seiten voller Texte, Notizen und Ergänzungen, die sich auf seinen „Mann ohne Eigenschaften“ beziehen. Eine Seite Textentwurf war oft von vielen Seiten mit Notizen begleitet.
Wer kauft eigentlich so eine Gesamtausgabe?
Die Einzelbände kaum jemand. Aber es gibt Subskribenten, die alle Bände von Anfang an gesammelt haben. Und dann natürlich Bibliotheken und Bildungseinrichtungen.
Die Ausgabe ist eigentlich eine Hybrid-Ausgabe und soll auch Online erscheinen. Ist da die mit Klaus Amann herausgegebene Klagenfurter Ausgabe, DVD-Edition, die Grundlage?
Darauf basiert das Projekt. Aber alles, was damals 2009 auf DVD erschienen ist, muss nun transferiert werden, so dass es Online von allen Formaten gelesen werden kann. Das ist eine ziemlich mühsame Arbeit, die mich zwischendurch aufhält.
Was bekomme ich online?
Man kann die Faksimiles aller Handschriften sowie deren Transkription einsehen. Außerdem sind alle Lesetexte (die Romane ebenso wie Briefe oder Tagebücher) abrufbar sowie alle lesbaren Passagen aus dem umfangreichen Nachlass, entstehungsgeschichtliche und historische Kommentare, Erläuterungen, Materialien, Register und alle zeitgenössischen Rezensionen – so soll man zu allen wichtigen Daten kommen.
Die Buchausgabe wiederum wird als besonders leserfreundlich beworben. Woran liegt das?
Es war uns wichtig, dass sie auf dickem Papier gedruckt wird und eine große Schrift hat. Es gibt ja zwei Arten von Lesern: jene, die Musil wieder weglegen und jene, die Musil immer wieder lesen. Und für die wollten wir es einfacher machen, denn die Texte sind an sich schon hochkomplex. Da soll man sich nicht noch mit der Lesbarkeit herumschlagen müssen.