Der Kampf um die Würde
Lutie Johnson ist arm, schwarz und kämpft in Harlem als alleinerziehende Mutter in einem gnadenlosen Biotop um ein menschenwürdiges Leben. Dieser aufrüttelnde und kämpferische Klassiker aus den 1940er-Jahren beschäftigt sich mit Rassismus in allen Facetten – erzählt in einem rasanten, scharfen und dennoch lyrischen Ton. Erschütternd auch, wie wenig sich seither geändert hat. BM
Ann Petry. The Street. Nagel & Kimche, 384 Seiten, 25 Euro.
Wunderbar und weise
Ein Buch zum Weltumarmen. Keine Bange, das ist eh nur symbolisch gemeint. Ein Dorfbewohner, daheim in den Schweizer Alpen, 90 Jahre alt, mit sich und dem Dasein längst ins Reine gekommen, lässt einen Ich-Erzähler teilhaben an seinem Leben, seinen Erinnerungen. Einfach, aber weise, sanft, berührend, der Zeit enthoben. Ein Glückstreffer. WK
Fabio Andina. Tage mit Felice. Rotpunkt, 240 Seiten, 24,90 Euro.
Immer wieder Marianne
Es beginnt mit Scharfschützen, die auf Passanten schießen, und auch sonst passiert in diesem wagemutigen Buch Außergewöhnliches, meist zwischen ihm – und Marianne, immer wieder Marianne. Ein Buch des Um- und Aufbruchs, ein Buch des Abschieds. Xaver Bayer zählt zu den kühnsten Autoren des Landes, ein Text wie eine Abrissbirne. Lesen! BM
Xaver Bayer. Geschichten mit Marianne.
Jung und Jung, 184 Seiten, 21 Euro.
Jai und die Detektive
Ein Roman so wunderbar üppig und ausufernd wie der widersprüchliche Subkontinent, auf dem er spielt. Der junge Jai wohnt in einer indischen Stadt, kämpft sich durchs Leben, liebt Polizeidokus und gerät plötzlich in einen echten Kriminalfall. Ein magisches Buch über die Kraft von Freundschaft. „Ein brillantes Debüt“,
meint Ian McEwan. Das meinen wir auch. BM
Deepa Anappara. Die Detektive vom Bhoot-Basar. Rowohlt, 400 Seiten, 24,70 Euro.
Der Krieg und die Lügen
Ein vielschichtiger Epochenroman über die Umwälzungen im Iran, die bis heute nachhallen. Amir liegt verwundet im Krankenhaus, sein Gedächtnis ist ausgelöscht, nur langsam erinnert er sich an den Krieg und die Lügen, beides zieht eine Spur der Verwüstung durch sein Leben. Der Autor zeichnet ein scharfes Porträt seines geliebt-gehassten Heimatlandes. BM
Shahriar Mandanipur. Augenstern. Unionsverlag, 416 Seiten, 24,70 Euro.
Dings heißt der Mann
Der Erzähler heißt tatsächlich Dings und das Unding namens Leben hat er nicht wirklich im Griff, obwohl sich Dings auf den Sommer seines Lebens freut. Mit seinem Debütroman hat der gebürtige Klagenfurter Roman Markus einen spritzigen, aber dennoch nie wässrigen Sommerroman geschrieben, der wie das Leben selbst daherkommt: unwägbar, saukomisch, tieftraurig, aber meist ziemlich einzigartig. BM
Roman Markus. Dings oder Morgen zerfallen wir zu Staub. Droschl. 232 Seiten, 22 Euro.
Arktische Kneippkur
An Ironie und Selbstironie, aber auch an feinsinnigen Beobachtungen mangelte es dem Franzosen Julien Blanc-Gras noch nie. Aber mit seiner restlos amateurhaften Chronik einer Arktis-Reise übertraf er sich noch einmal selbst. Sonderbarste, skurrilste Erlebnisse in Grönland schildert er in einem humorvollen Ton, der trockener nicht sein könnte. Cool. WK
Julien Blanc-Gras. Das Eis brechen. Meine Reise in die Arktis. Mare, 150 Seiten, 18,50 Euro.
Vom Furor des Erzählens
Gegenwelten erschaffen, auf verblüffende Weise die Erzählperspektive wechseln und stets auf einen lakonischen Unterton achten, das sind nur einige Markenzeichen von Iris Hanika. „Echos Kammern“, ihr erster Roman, führt eine Schriftstellerin nach New York, Berlin, Rom, stets trifft sie auf innerlich hohle Gestalten. Ein pralles literarisches Furioso, ein Zeit- und Sittenbild in grandiosen Sprachfarben. WK
Iris Hanika. Echos Kammern. Droschl, 240 S., 20 Euro
Kleine große Dinge
Sechs Romane, die allesamt in der Kleinstadt Holt angesiedelt sind, hinterließ der US-Autor Kent Haruf. Unverwechselbar ist seine Gabe, anscheinend kleinen Dingen und Ereignissen große Bedeutung zu verleihen. Mag sein, dass „Kostbare Tage“, ein berührendes Werk über endgültige Abschiede, geprägt ist durch persönliche Vorahnungen, eine Liebeserklärung an den Augenblick ist es gewiss. WK
Kent Haruf. Kostbare Tage. Diogenes, 350 S., 24,70 Euro
Der gnadenlose Rächer
Hochsatire, höchst willkommen. Gerhard Henschel startet zum Rachefeldzug gegen die Verursacher nicht selten übelster Regional- und Provinzkrimis. Er schickt in „SOKO Heidefieber“ einen Serienkiller auf den Weg, der gnaden- und erbarmungslos unter den Autoren aufräumt. Eine rabenschwarze Parodie in höchster zynischer Vollendung. WK
Gerhard Henschel. SOKO Heidefieber. Hoffmann und Campe, 286 Seiten, 18,50 Euro.