Sie haben mir das erste Mal von Ihrem Roman erzählt, als Sie noch leicht verzweifelt mitten in der Arbeit steckten und noch gar nicht wussten, ob Sie das Buch finalisieren werden. Jetzt ist der Roman da. Was hat beim Schreiben überwogen? Die Lust oder das Leiden?
HUBERT ACHLEITNER. Ich könnte und möchte es prozentuell nicht benennen. Es ist wie beim Hinaufgehen auf einen Berg: Jeder Schritt ist eine Anstrengung, aber jeder Schritt ist auch ein Weiterkommen. Es ist auch ein Überwinden der Schwerkraft, im Fall des Schreibens ein Überwinden der Schwerkraft des Geistes. Und außerdem: Leiden und Lust liegen ja sehr eng beieinander.
Wie ich Sie kenne, vor allem als Musiker natürlich, sind Sie ja ein sehr qualitätsehrgeiziger Künstler. Sind Sie mit diesem Buch zufrieden?
Ja! Meine große Zufriedenheit besteht darin, dass ich es überhaupt geschrieben, dass ich es zu Ende gebracht habe. Es gab da schon ein paar Hänger, wo ich mir dachte: Ach, das wird nichts, das schaffe ich nicht. Ich muss zugeben, dass meine Kinder das Buch letzten Endes am Leben erhalten haben. Zu ihnen sag ich nämlich immer: Wenn ihr etwas anfangts, dann machts es auch fertig! Es wäre mir also unmöglich gewesen, zu ihnen zu sagen: Ich hab es sein lassen. Wenn man Wasser predigt, muss man auch Wasser trinken. Ich wollte vor meinen Kindern nicht als Aufgeber dastehen.
Sie haben das Buch dann Ihrer Frau zum Lesen gegeben und sie war überrascht. Warum denn das?
Weil sie sich ein anstrengenderes, verzwurbeltes Buch erwartet hat offenbar. Sie hat gemeint, dass sie froh war, doch kein Fremdwörterlexikon für die Lektüre gebraucht zu haben. Ich muss aber zugeben, dass das Buch zu Beginn komplexer und komplizierter geschrieben war. Ich bin dann immer wieder drübergegangen und habe es entwirrt. Ich mag als Leser auch keine Sätze, die über eine ganze Seite gehen. Der Punkt ist eine ganz tolle und wichtige Einrichtung beim Schreiben. Ich mag auch Schriftsteller wie Hemingway. Die stellen ein Wortbild neben das nächste.
Wie muss man sich das vorstellen? Eines Tages hat der Hubert von Goisern gesagt: So, jetzt schreibt der Hubert Achleitner einmal einen Roman.
Ich war immer sehr schlecht in der Schule, auch in Deutsch, bin immer grad so durchgrutscht. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich diese Sprache nicht beherrsche. Dazu kam, dass ich im Dialekt aufgewachsen bin, wo ich mich auch wohlgefühlt habe. Eigentlich bin ich erst über das Englische, weil ich sieben Jahre im englischsprachigen Raum gewohnt habe, in eine gewisse sprachliche Eloquenz hineingekommen. Die Idee für ein Buch ist erst viel später gekommen, als ich sehr viele Liedtexte geschrieben habe, dadurch ist auch mein Selbstbewusstsein gewachsen. Ich hab ja schon ein Sachbuch geschrieben. Aber da muss man so höllisch aufpassen, dass alles stimmt. Damals habe ich mir geschworen: Nie wieder! Wenn ich noch ein Buch schreibe, dann einen Roman. Da kann ich abwatschen, wen ich will; umbringen, wen ich will; jemandem politische Unkorrektheiten in den Mund legen, kurz: Ich bin frei, ich bin in der Fiktion. Aber dann, nach den ersten 50 Seiten des Romans, habe ich mir gedacht: Wie einfach ist doch ein Sachbuch! Da hat man etwas, woran man sich festhalten kann. Das heißt, beide Arten des Schreibens haben Hürden, die man überwinden muss.
Wie kam es zur konkreten Idee für den Romaninhalt: Eine Frau kann die Nähe ihrer langjährigen Ehe nicht mehr ertragen und sucht buchstäblich das Weite.
Die Uridee findet sich schon in einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 2003. Da habe ich notiert, dass ich einmal einen Roman schreiben möchte über eine Frau, die aus dem Haus geht und nicht mehr zurückkommt. Niemand weiß, warum sie fortgeht – und ich wollte das immer aus der Sicht der Frau schreiben. Sonst hört und liest man ja immer nur von Männern, die um Tschik gehen und nie mehr zurückkommen. Das muss man einmal umdrehen, dachte ich mir. Auch Frauen dürfen verschwinden.
Im Buch kommt früh der Satz vor: „Die Beziehung war aus dem Gleichgewicht.“ Also die Ehe zwischen Maria, die später verschwindet, und ihrem Mann Herwig. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass diese Ehe überhaupt nie im Einklang war.
Vielleicht hätte ich der harmonischen Phase mehr Raum widmen können, aber das hat mich nicht interessiert. Für mich war viel spannender, was passiert, wenn die Zweisamkeit zu bröckeln beginnt, wenn plötzlich die Erkenntnis da ist, dass es nicht passt, nicht stimmt.
Was bewirkt die Reise, die Odyssee, die diese Frau über Umwege bis nach Griechenland führt?
Da habe ich echt keine Lust, das jetzt zu erzählen. Darüber habe ich ja ein Buch geschrieben.
Die leidige Frage nach dem autobiografischen Anteil im Roman kann ich Ihnen nicht ersparen.
Ich glaube, es war Paul Auster, der gemeint hat, dass ein Roman, in dem der Autor nicht vorkommt, kein guter sein kann. Für mich ist ein Roman wie ein Traum. Die Traumdeutung besagt ja, dass alles, was in einem Traum passiert, du bist. Du bist der, der durch den Traum geht; du bist jeder, dem du begegnest; du bist sogar das Haus, in das du dich hineinträumst. Das heißt: Alles ist ein Teil von einem selbst und manifestiert sich in verschiedenen Personen, Landschaften oder sogar Gegenständen. Und so ist es beim Buchschreiben auch. Ich kann nur aus mir selbst schöpfen. Das Wunderbare war ja: Dieses Buch hat sich eigentlich selbst geschrieben. Natürlich hatte ich einen Grundgedanken, aber im Fluss des Schreibens haben die Figuren plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Ich habe oft nicht gewusst: Wo geht Maria jetzt hin? Oder Herwig. Ich hab mir gedacht, jetzt muss er nach links abbiegen, aber der Kerl ist nach rechts gegangen. Das war ungemein spannend. Dass ich als Autor nicht alles in der Hand hatte.
Das heißt überspitzt, Sie waren nur der Co-Autor des Buches?
Picasso hat einmal gesagt: Die Muse geht dorthin, wo gearbeitet wird. Es hat also keinen Sinn, tatenlos auf sie zu warten. Sie geht schon dorthin, wo sie sieht, dass Schweiß fließt. Dann wird die Muse neugierig und läuft einem im Idealfall zu.
Sie befinden sich offenbar in einer kreativen Hochphase. Hubert Achleitner hat seinen ersten Roman beendet, Hubert von Goisern bringt im Sommer ein Doppelalbum mit dem Titel „Zeit und Zeichen“ heraus, das eine atemberaubende Bandbreite haben soll.
Es ist ein sehr ambitioniertes Album geworden mit 17 Songs, und jeder steht für sich allein. Ein paar Leute in meinem Umfeld, die mitgekriegt haben, woran ich da arbeite, haben gemeint: Das kannst nicht machen! Das ist Kraut und Ruabn, so viele verschiedene Stile. Und ich habe dann gsagt: Entschuldigung, wenn ich in meinem Alter nicht machen kann, was ich will, wann dann? Ich hab immer gemacht, was ich wollte und wovon ich überzeugt bin. Warum sollte ich jetzt, mit 67 Jahren, damit aufhören?
Hubert Achleitner. flüchtig. Zsolnay. 304 Seiten, 23,70 Euro.
Kritik zum Buch
Die Möglichkeiten dazwischenliegender Töne waren ihm ausgebürstet worden.“ Was für ein wunderbarer Satz. Er trifft auf eine Figur in Hubert Achleitners Romanerstling „flüchtig“ zu – zum Glück aber nicht auf den Autor. Denn dieser beherrscht sie erstaunlich gekonnt für einen Schriftstellernovizen, die so wichtigen Zwischentöne und -räume, in denen sich das Leben abspielt, auch jenes von Romanfiguren.
Hubert Achleitner hat ein (viel-)stimmiges, sprachlich trittsicheres Roadmovie geschrieben und ist dabei nur selten in die Klischeefalle getappt, die dieser nicht ganz neue Stoff bereithält: Frau bricht aus der Beziehung aus und sucht im Aufbruch Wege in eine zumutbare Zukunft. Achleitner begegnet seinen Figuren mit Empathie und dem Wissen, dass auch die abenteuerlichste Reise, der verwegenste Fluchtweg letztendlich immer zum Ich zurückführt. Aus dieser ebenfalls nicht ganz neuen Erkenntnis hat der Weltmusiker Goisern einen weltklugen Roman gezimmert, der mehr ist als eine flüchtige Lektüre.