Zugegeben, anfangs ist man ziemlich irritiert: Da flieht die Ich-Erzählerin Elaine im 24. Jahrhundert vor dem Todeskometen mit einem der letzten Raumschiffe von der Erde. Und dessen Bruchlandung im hintersten Winkel des Weltalls überlebt allein sie, samt einer Reproduktionsmaschine, aus dem sie als Gentechnikerin neues Leben schaffen könnte ...
Was also will Michael Stavarič auf den restlichen 500 Seiten noch sagen? Und dann liefert er uns nach und nach Verblüffungen in seinem im doppelten Sinn fantastischen Roman. Denn der 48-Jährige nimmt uns mit auf eine labyrinthische Abenteuerreise durch Zeit und Welt und Raum. Wie sich in „Fremdes Licht“ schließlich alles nahezu nahtlos fügt, zeugt nicht nur von seiner hohen Meisterschaft des Erzählens, sondern auch von einer großen dramaturgischen Kraft.
Eremitin Elaine wird vom kahlen Planeten zurückblicken auf das Leben vor ihrer Flucht. Und auf die Geschichte ihrer Vorfahren. Mit ihr machen wir einen Zeitsprung in das 19. Jahrhundert. „Du bist eine ganze Vergangenheit und eine ganze Zukunft, Elaine, lass es dir niemals nehmen, deine Geschichte zu erzählen, wie sie wirklich passiert ist.“ Das rät der Großvater einem Mädchen, das eigentlich Uki heißt, Nasenspitze an Nasenspitze stoßend. Denn Elaine ist Inuit. Die Schrecken des Eises und der Finsternis kennt sie nicht, im Gegenteil: Dem „Winterkind“ sind Schnee und Frost, Kristalle und Polarnächte, Eisbären und Walrosse magische Begleiter. Die Streifzüge der jungen Grönländerin mit dem freidenkerischen Großvater (die stärksten Passagen im Buch) werden zu Welt- und Selbsterkundungen zugleich.
Ist Stavarič wirklich in Brünn geboren oder nicht doch in Nuuk? So tief nämlich blickt er in das Leben der Inuit, in deren Riten und Denkweisen, übersetzt zwischendurch die poetische Sprache der indigenen Volksgruppe und lässt sogar geheimnisvolle Silbenzeichen des Inuktut abdrucken. Viele weitere Details hat der Wiener fast wie ein Forscher, wie für ein Wissenschaftsbuch akribisch recherchiert.
Apropos: Ein nicht unbekannter Forscher wird dem vifen Inuit-Mädchen schließlich den Namen Elaine geben. Und sie ihn „Vogelmann“ nennen, obwohl er Fridtjof heißt. Der will mit Schiff und Crew zum Nordpol. Aber vorher setzt er noch Segel Richtung Amerika und nimmt Elaine mit, denn nicht nur in Grönland, auch in New York und in Chicago, bei der Weltausstellung 1893, sind die größten Wunder des Universums zu entdecken. Und in der Fantasie natürlich ...
Michael Tschida