Am Anfang steht, wie so oft bei Peter Handke, die Unrast, der baldige Aufbruch in eine weitere poetische Gegen- oder Parallelwelt, in ein Andersland. Eben erst heimgekehrt in seinen Stammwohnsitz südwestlich von Paris, „nach mehreren Wochen Stromerns durch das nördliche Landesinnere“, holt ihn die Erinnerung an eine seit Jahrzehnten schon geplante, oft wieder vergessene oder verdrängte Vergeltung ein. Diesmal will er sie in die Tat umsetzen. Drei Tage nach der Rückkehr bricht er erneut auf –zu einer „Racheexpediton“. Sein Erscheinungsbild könnte auffälliger kaum sein. Er trägt einen dreiteiligen, blauschwarzen Dior-Anzug samt einem breitkrempigen Borsalino mit einer Bussardfeder im Hutband.

Lukasevangelium


Obwohl das neue Werk von Peter Handke (77) nur rund 160 Seiten umfasst, geschrieben im April und im Mai des Vorjahres, also einige Monate vor der Bekanntgabe des Literaturnobelpreises, gibt er die Hintergründe und Ursachen seines „Feldzugs“ nur allmählich preis.
Eine „Feindfrau“ ist es; sie soll Handkes Mutter nach deren Tod im Jahr 1971 am offenen Grab beschimpft haben. Einige Jahre später ließ sie, so die Geschichte, ihren Anschuldigen über einstige, kurze Sympathie der Mutter für das Großdeutsche Reich eine gefälschte Fotomontage folgen, um auch Handke zu diskriminieren. Diese Frau wohnt ebenfalls in Paris.
„Das zweite Schwert“, auf das im Buch durch ein vorangestelltes Zitat aus dem Lukasevangelium verwiesen wird, mag martialisch klingen, aber Handke hat ohnehin anderes im Sinn. Erneut wählt er für seine Geschichte oder Novelle den Begriff „Epopöe“, eine Variante des Heldengedichts, die aber auch für ein Spiel der Erinnerungen steht, das eigenen Gesetzen gehorcht. So ist denn auch dieser Racheplan ein zutiefst poetischer und magischer Streifzug durch Handkes Schaffen; anspielungsreich führt auch „Das zweite Schwert“ vor Augen, wie vernetzt der Erzählkosmos des Dichters ist.

Wundertüte


Und es ist eine weitere Huldigung der Langsamkeit, eine Lektion über das präzise Betrachten und den zweiten Blick, über Selbstzweifel und Sprachskepsis. Es sind Leuchtspuren der Erinnerungen. Kurz streifen sie auch Schauplätze früherer Werke, allen voran „Wunschloses Unglück“. Darin wird ja das Fehlen einer Episode angedeutet, die – vielleicht – später einmal erzählt werden sollte.
Handke spricht seine Leserschaft in direkter Form an, er nimmt sie an der Hand, für eine Reise mit der Tramway, später in einem Taxi, in dem er gemeinsam mit dem Fahrer beschwingt eine Multikulti-Version von Eric Burdons „When I Was Young“ anstimmt. Weiter führt die „Expedition“ zu den Ruinen von Port Royal, dort studierten einst der Philosoph Pascal und der Dramatiker Racine. Die geplante Rache endet pointiert, aber das Wie bleibt hier ungesagt. Das Buch ist eine Wundertüte der Erzählkunst, zauberhaft, verführerisch, gewiss nicht von ungefähr mit dem Untertitel „Eine Maigeschichte“ versehen und weitaus mehr Schwertlilie als Schwert.