In Kürze beginnen die St. Veiter Literaturtage, heuer zum Thema „Drei Länder, drei Frauen“. Was haben Sie sich diesmal ausgedacht?
KLAUS AMANN: Der Verein St. Veiter Literaturtage feiert heuer sein zehnjähriges Bestehen, deshalb haben die Programmgestalter Wilhelm Huber und ich vorgeschlagen, dass die Veranstalter sich ein Wunschprogramm aus den vergangenen zehn Jahren aussuchen sollen. Einzige Bedingungen war, dass so wie bisher die drei deutschsprachigen Länder, Deutschland, die Schweiz, und Österreich vertreten sein sollten. Das entspricht auch dem Ursprungsgedanken der Literaturtage, die als Kulturtage das erste Mal 1950 stattgefunden haben. Das war damals die erste Veranstaltung nach der NS-Zeit in Kärnten, bei der man bewusst versucht hat, auch Leute von außen zu holen. Walter Jens war da, Hans Werner Richter, der spätere Gründer der Gruppe 47. Auch die ersten Emigranten, wie Franz Theodor Csokor oder Friedrich Torberg, der damals noch als amerikanischer Autor vorgestellt wurde, weil er aus dem Exil kam, waren in St. Veit.
Und die Veranstalter haben sich für drei Frauen entschieden.
Ja. Ich bin mit der Wahl sehr einverstanden, weil diese drei Frauen drei ganz unterschiedliche Formen des weiblichen Schreibens in der Gegenwart repräsentieren. Sibylle Lewitscharoff, die 1998 den Bachmannpreis bekommen hat und 2013 den Büchner-Preis, schreibt hauptsächlich Romane und Essays. Sie ist bekannt dafür, dass sie sehr erfindungsreich, scharfsinnig und gebildet fabuliert, in einer Mischung aus Fakten und Erfindungen. Es ist kein Zufall, dass zwei ihrer Romane als Protagonisten historische Personen haben. Im „Pfingstwunder“ ist es Dante und in „Blumenberg“ ist es der berühmte deutsche Philosoph Hans Blumenberg, um die sie eine Art Sprachfeuerwerk entzündet.
Der erste Abend gehört der Schweizerin Gertrud Leutenegger, die eine interessante Biografie hat.
Sie hat Regie studiert, war Assistentin von Jürgen Flimm und hat längere Zeit in Japan gelebt. Leutenegger verbindet in einer ganz spezifischen Weise das poetische Schreiben mit dem Erzählerischen und bringt auf diese Weise atmosphärisch unglaublich dichte Texte zustande. In all ihren Romanen, Erzählungen und Prosastücken ist sie irgendwie auf der Suche nach dem vollkommenen Augenblick und das ist meistens ein Augenblick, in dem sich Wahrnehmungen aus der Gegenwart und Erinnerungen an die Kindheit in nahezu magischer Weise überschneiden.
Und Maja Haderlap...
...braucht man hier zum Glück nicht vorzustellen.
Sie gilt als Garantin für eine gut besuchte Matinee am Sonntag.
Man kann es nicht darauf reduzieren, aber die Veranstalter sind auch deshalb glücklich mit ihr, weil sie verlässlich, wie es salopp heißt, die Bude, pardon, den Rathaushof füllt. Sie wird lyrische Texte lesen, begleitet von Primus Sitter.
Was treiben Sie, abgesehen von St. Veit, noch?
Ich bin noch aktiv als Vorsitzender des literarischen Beirats der Internationalen Christine Lavant Gesellschaft, die jährlich den Lavant Preis vergibt, bin Mitglied des Verlagsbeirates beim Bundeskanzleramt und hin und wieder als Gutachter zum Beispiel für Literaturarchive tätig.
Auch für das Robert Musil Institut?
Das Musil Institut hat mich seit meiner Pensionierung nicht mehr gebraucht. Dann bin ich noch im Vorstand der Erich Fried Gesellschaft und im Rahmen der Internationalen Robert Musil Gesellschaft tätig. Ansonsten kehre ich bewusst zu meinen Anfängen zurück und helfe meinem Schwager auf seinem kleinen Hof im Wald und auf dem Feld. Ich finde diese Rückkehr zur körperlichen Tätigkeit in der Natur, die ich als Jugendlicher auf Vorarlberger Bauernhöfen und Almen ausgeübt und nicht vergessen habe – auch den Umgang mit der Motorsäge nicht – sehr befreiend und bereichernd.
Zurück zur Christine Lavant Gesellschaft. Wie wird die Gesamtausgabe, die Sie mit Doris Moser herausgegeben haben, eigentlich angenommen?
Diese Ausgabe dürfte zu den spektakulärsten Wiederentdeckungen auf dem deutschen Buchmarkt zählen. Die Lavant war in Deutschland praktisch vergessen und musste bei jeder Rezension erst einmal als Person vorgestellt werden. Die vierbändige Gesamtausgabe und auch die drei Einzelbände liegen auch von den Absatzzahlen her weit über den Erwartungen.
Was heißt das?
Von der Gesamtausgabe wurden ungefähr 10.000 Bände abgesetzt und von den drei Einzelbänden mehr als noch einmal so viele. Wir bewegen uns weit jenseits der 20.000. Das ist für eine Autorin, die auf dem Markt nicht mehr vorhanden war sensationell. Es ist jedoch nicht nur ein Erfolg beim lesenden Publikum, auch immer mehr Autoren und Autorinnen beziehen sich auf die Lavant. Sie ist interessant, weil sie einen unglaublich freien und souveränen Umgang mit Erzähl- und Schreibtechniken hat. Sie ist viel moderner als man sich das vorstellt.
Es gibt Stimmen, die Peter Handke den Literaturnobelpreis am liebsten aberkennen möchten. Hat Handke recht, wenn er sagt, seine Bücher würden zu wenig gelesen und man stürze sich auf sein Engagement für Serbien?
Die Situation, wie sie sich jetzt darstellt, gibt ihm recht. Handke sagt, das Problem der Öffentlichkeit sei, dass die Medien nicht mehr ein Instrument der Machtkontrolle seien, sondern dass sie sich in vielen Fällen auf die Seite der Macht stellen und selber Macht ausüben. Deshalb hat er seinerzeit sich gegen Berichterstattung zum Jugoslawienkrieg und gegen die völkerrechtswidrige Bombardierung Belgrads gestellt, und hat für die serbische Seite Partei ergriffen mit Formulierungen, die ich nicht beurteilen kann und will, da ich nicht beurteilen kann, was von dem wahr ist, was in den Zeitungen und Internetforen behauptet wird. Auch hat Handke im Laufe der Jahre immer wieder öffentlich Korrekturen und Relativierungen seiner Aussagen vorgenommen. Im Übrigen finde ich das biblische Prinzip nach wie vor beherzigenswert: wer ohne Fehler ist, der werfe den ersten Stein.
Die Schwedische Akademie hat erklärt, dass ihre Gutachter Handkes literarisches Werk umfassend geprüft...
...und absolut nichts gefunden haben, das gegen demokratische oder humane Prinzipien verstoßen würde. Dies ist für den Nobelpreis, der ein Literaturpreis ist, das einzig Entscheidende. Ich würde mir wünschen, dass mit der gleichen Intensität, mit der über seine privaten politischen Ansichten debattiert wird, auch über seine Literatur und seine Bücher gesprochen würde. Sie sind es die bleiben werden. Tatsache ist, dass Handke vom ersten bis zum letzten Buch mit seinem Schreiben eigentlich ein Friedensprojekt verfolgt. Ausgangspunkt und Endpunkt seines Schreibens ist der Krieg. Die „Hornissen“ von 1966 sind ja die amerikanischen Bomber, die über Griffen hinweg Richtung Wiener Neustadt und Linz fliegen, um die Industrieanlagen zu bombardieren. Die Bomber sind seine erste bewusste Kindheitserinnerung. In seiner Büchnerpreis-Rede von 1973 sagt er: „Von jeher fühlte ich mit den Opfern.“ 50 Jahre später heißt es in „Immer noch Sturm“: „Und immer noch halte ich mit den Verlierern.“ Sein lebenslanges Schreiben gilt dem friedlichen Zusammenleben der Menschen und der bewussten Wahrnehmung der Welt und dem Respekt vor der Schöpfung. Sein Programm im Leben wie im Schreiben hat er mit drei Begriffen umrissen: „Innehalten – Innewerden – Weitersehen“. Handke ist ein ‚Weltautor‘ in mehrfacher Hinsicht, einer bei dem man lernen könnte, was es heißt, nicht nur auf, sondern in der Welt zu sein.
Was ist Ihnen als Beobachter des literarischen Lebens heuer abgegangen?
Mich hat sehr gewundert, dass zum 100. Geburtstag von Michael Guttenbrunner, der ein bedeutender Autor ist, in Kärnten nichts gemacht wurde. Wir werden ihn nächstes Jahr in St. Veit gebührend hervorheben.
Uschi Loigge