Das pralle Leben spielt im Nirgendwo Amerikas. In der Einöde lassen ungezählte TV-Programme – eines schundiger als das andere – die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum verschwimmen. Der Realität vor der Tür fehlt jegliche Bannkraft. Auch die zentrale Figur in Salman Rushdies 14. Roman, ein Handelsreisender „indischen Ursprungs, fortgeschrittenen Alters und mit schwindenden geistigen Kräften“, verliert sich in seinen Fantasien.

Er begibt sich auf eine liebes- und drogentolle Jagd nach seiner Angebeteten – einem Megakinostar namens Selma R. Für seine Quest nennt er sich Quichotte, wie passend. Auch bei Cervantes lautet die zentrale Frage, was in der Welt Realität und Traum ist.

Rushdie ließ auch schon in seinen bisherigen Werken Referenzen an klassische Werke als Würdigung erkennen. Der britisch-indische Geschichtenerzähler beamt den historischen Romanheld von Cervantes in die Jetztzeit und schickt ihn auf einen Roadtrip durch das trumpistische Amerika. Er hält in bissigem Ton der Gesellschaft den Spiegel vor, während sie gerade den Verstand verliert.

Auch Quichotte hat den Verstand verloren, weil er zu viele romantische Ritterromane verschlungen hat. Es ist der Anker für die erste surreale Ebene der Erzählung. Denn der Neoritter von der traurigen Gestalt hat seinen Sancho. Der jedoch ist erfunden und sitzt nur als Phantomsohn auf dem Beifahrersitz. Doch je länger sich der Weg durch die USA zieht, desto realer wird er. Rushdie aber bleibt nicht auf dieser Ebene. Denn Quichotte ist die Erfindung des fiktiven Autors Sam Duchamp, der mit der Neuerzählung von Cervantes Werk sein eigenes trübsinniges und verlogenes Leben zurechtrücken will. Dieser Autor hat tatsächlich einen Sohn, einen realen. Doch der ist ihm entglitten. Und auch seine Selma R., die unheilbar krank ist, lebt – aber weit weg von ihm.

Rushdie webt autobiografische Fasern ein, indem er seinen Erzähler über einen Gott philosophieren lässt, der ihn und damit Quichotte erschaffen hat. Ein Autor, der über einen Autor nachdenkt, der seine eigene Welt kreiert. Diese Verwebung verursacht Verwirrung, aber das ist gewollt und macht den Roman so betörend, auch wenn man sich über den Sprachstil streiten wird. Die Kritik zielt auf die neue Wissenslosigkeit, die es Quichotte leicht macht, „unwirklicher Wirklichkeit“ zu verfallen. Aber gerade in der Abwesenheit einer Geschichte tappt auch der Leser in die gleiche Falle, wenn er sich in Rushdies Irrwegen verliert. Der Autor rechnet mit der Medienwelt und ihrem bösen Spiel zwischen Fake und Wahrheit ebenso ab wie mit dem epidemischen Drogenkonsum. Dabei mutet er dem Leser einen brutalen Ritt zu.

Salman Rushdie. Quichotte. C. Bertelsmann, 464 Seiten, 25,70 Euro.