Schienen für "Die Perser" zwei rotierende Scheiben das Salzburger Landestheater beinahe zu sprengen, verwendet Rasche, der seine Bühnenkonstruktionen stets selbst entwirft und damit den Maschinenbauern knifflige Aufgaben zu lösen gibt, "drei Laufbänder, die man in die verschiedenen Richtungen bewegen kann: nach oben, nach unten, nach vorne, nach hinten und im Kreis". Das seien technische, keine inhaltliche Setzungen, erklärt der 1969 in Bochum Geborene im Gespräch mit der APA.
"Letztendes sind meine Bühnenbilder abstrakter als sie dann meist interpretiert werden. Die bewegten Untergründe dienen dazu, den Menschen in Bewegung zu bringen und den inneren Bewegungsmoment zu vergrößern. Das Zusammenspiel von Gedanke, Sprache und Bewegung ist der Nukleus des Theaters - darum ist es mir immer gegangen. Das Spektakuläre der Maschine ist schön und gut, aber die Schauspieler, der Chor, das Musikalische, die Sprachbehandlung sind mindestens die Hälfte der Miete, warum diese Inszenierungen so erfolgreich sind."
Zweimal in Folge hat Ulrich Rasche den österreichischen Nestroy-Preis für die beste Aufführung im deutschen Sprachraum erhalten. Seit langem war klar, dass eine Inszenierung von ihm Kusejs Intendanz eröffnen werde. Lange hielt sich jedoch "Nathan der Weise" als dafür auserwähltes Stück an der Gerüchtebörse. "Inhaltlich hätte das schon funktioniert. Wir hätten die Religionen gegeneinander antreten lassen und Sekundärtexte dazu genommen. Es wäre eine Chance gewesen, das doch etwas papierene Stück von Lessing aufzufrischen. Ich bin aber ganz glücklich, dass wir jetzt bei den 'Bakchen' gelandet sind. Ich glaube, es ist ein Stück, das in meiner Ästhetik gut funktioniert und uns viel über die heutige politische Situation in Österreich und Europa erzählen kann."
So abstrakt seine Bühne, so konkret und aktuell ist seine inhaltliche Verortung des vor unglaublichen 2.425 Jahren uraufgeführten Euripides-Stückes, in dem sich Gott Dionysos fürchterlich dafür rächt, dass Thebens Herrscher Pentheus eine neue, säkulare Ordnung geschaffen hat. "Meine Inszenierung hat nicht mehr diese archaische, griechische Note, die noch 'Die Perser' hatten. Sie zielt stark darauf ab, die Verführungskünste des Dionysos als inszenatorisches Mittel zu zeigen. Wir sind ja empfänglicher für solche Mittel, als wir uns vorstellen. Wir sind auch in der Politik geblendet von Mitteln, mit denen sonst die Werbung ihre Produkte verkauft."
An sich wäre Dionysos ja auch der Gott des Theaters, der Lustbarkeiten, der Entäußerung. Doch die Eröffnungsproduktion der neuen Direktion wird nicht zur Reflexion über das Theater, "obwohl diese Assoziationen durchaus interessant wären", sondern über Verführungskunst und Verführbarkeit. Und die Auseinandersetzung von Dionysos (Franz Pätzold) und Pentheus (Felix Rech) wird unversehens zum politischen Machtkampf von heute.
"Wir fragen uns: Wer wäre dieser Dionysos, wenn er uns heute entgegentreten würde, wenn er einfach eine Führungspersönlichkeit wäre, die behauptet, das Recht auf ihrer Seite zu haben, und Gefolgschaft verlangt. Während Dionysos recht seriöse Töne anschlägt, wendet der Chor als seine Peer-Group, seine Buberl-Partie, alle rhetorischen Mittel auf und wäscht die schmutzige Wäsche. Sein Gegenspieler Pentheus kommt bei Euripides nicht besonders gut weg. Er ist ein Verwalter, ein ängstlicher Diktator, jemand, der die Diskurse nicht eröffnet, sondern sie schließt, jemand, der klar mit der Staatsgewalt droht. Trotzdem hab ich mich gefragt: Ist diese Figur wirklich so abzulehnen. Was könnte sie heute leisten? Was sind unsere Errungenschaften, und wie können sie verteidigt werden? Wir haben Pentheus einige Texte aus der Diskussion um die attischen Demokratie gegeben, wo er mehr als Staatsmann auftritt. Mit dieser Umverteilung ist es sehr spannend, was da passiert."
Spannend wird es auch, wenn Österreich zwei Wochen später wählt. "Am Ende des Stückes wird durch Pentheus' Mutter Agaue, die als Einzige erkennt, was da abläuft, das Publikum eigentlich gefragt, ob es diesem ganzen Wahnsinn seine Stimme geben will", sagt Rasche und fügt schmunzelnd hinzu: "Ich glaube aber nicht, dass die Wahlen durch 'Die Bakchen' beeinflusst werden können. Es ist ja sowieso nicht meine Art Theater zu machen. Ich bin ja nicht Schlingensiefs 'Chance 2000' oder Peymann, der sich klar tagespolitisch geäußert hat."
Mit "Die Bakchen" am Burgtheater scheint ein Höhe- und Endpunkt in einer Entwicklung von Ulrich Rasche erreicht zu werden. Künftig wolle er die Bombastik des Bühnenaufwands deutlich reduzieren, sagt der Regisseur. In seiner "Peter Grimes"-Inszenierung in Basel werde Ende März zwar ein großes Schiff die Bühne dominieren, für das Deutsche Theater in Berlin habe er aber bereits einen Raum für mehrere eigene Inszenierungen entworfen (Sarah Kanes "4.48 Psychose" bildet am 17. Jänner den Auftakt), der mit einem verdoppelter Boden arbeite: "Da sehen Sie überhaupt keine Maschine."