Mit einem "ah...merci", bedankte er sich für den Preis, nachdem er die dazu überreichte Urkunde, die ihm Schallenberg aufmerksam durchgelesen hatte: Der französische Autor Michel Houellebecq hat in Salzburg am Freitag den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur 2019 erhalten. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.
Er sei "als Schöpfer eines höchst eigenwilligen literarischen Werks" längst "eine der einflussreichsten Stimmen der europäischen Gegenwartsliteratur", hieß es dazu in der Jurybegründung: "Seine Texte verraten ein besonderes Sensorium für Fragen von gesellschaftlicher Sprengkraft, wobei er den Konjunkturen des Feuilletons stets vorausgeeilt ist." Kann man wohl so sagen: Houellebecq hat sich mit zeitgenössischen Arbeitswelten, mit der Gentechnik, dem religiösen Fanatismus und der Sexualität der Gegenwart befasst für die Jury setzt sich in seinen Texten "jene Übertreibungskunst fort, die in der Literatur des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Biografie und Werk, Kunst und Leben systematisch überschritten hat."
In Salzburg würdigte am Freitag auch Kulturminister Alexander Schallenberg den Literaten als eine jener "Forensiker der Gesellschaft, die uns auf ihre Art vor Augen führen, dass nichts selbstverständlich ist, dass keine Generation sich einfach ausruhen kann, sondern um den Erhalt ihrer Werte kämpfen muss."
Der Autor selbst meinte in seiner Dankesrede, die von einer Dolmetscherin übersetzt wurde, es sei erstaunlich, dass man Schriftstellern Preise verleihe, "als wären sie Wohltäter der Menschheit, obwohl sie es meistens gar nicht sind und nicht einmal vorgeben, es zu sein". Nicht selten würden Schriftsteller nämlich Verachtung nicht nur sich selbst gegenüber, sondern gegenüber der Menschheit als Ganzes empfinden, und viele seien der Ansicht, dass das Verschwinden der Menschheit eher etwas Gutes wäre. "Dennoch gibt man ihnen Preise, ganz so, als hätten sie etwas Verdienstvolles geleistet. Das ist merkwürdig."
Houellebecq zitierte einen Satz, den der österreichische Autor Thomas Bernhard in einem Text von seinem Freund Paul (den Neffen Ludwig Wittgensteins) sagen hat lassen: "Einen Preis annehmen ist schon eine Perversität, einen Staatspreis anzunehmen aber ist die größte".
Bevor Houellebecq am Podium seine Rede hielt, erinnerte Schauspieler Sascha Oskar Weis in einem Prolog an den Staatspreis-Skandal aus dem Jahre 1968, als der Preisträger Thomas Bernhard in seiner Dankesrede die Österreicher u.a. als "apathisch" und "Geschöpfe der Agonie" bezeichnete und der damalige Kulturminister Theodor Piffl-Percevic empört den Saal verließ.
Als er den Text von Thomas Bernhard wieder gelesen hatte, habe er laut lachen müssen, sagte Houellebecq. Erst nach einem nochmaligen Lesen vergehe einem das Lachen, erst dann könne man erkennen, welche aggressive Kraft in ihm steckt. "Einen lustigen Text zu schreiben ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, um eine Aggression akzeptabel zu machen", so der Franzose. Er gab dem Publikum den Rat, sich vor übertriebener Höflichkeit in Acht zu nehmen. "Höflichkeit ist Heuchelei, eine große soziale Tugend. Doch wenn man schreibt, ist sie ein Kunstfehler, den Thomas Bernhard nicht begangen hat. Und ich auch nicht, zumindest hoffe ich es."
Der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur wird seit
1965 für das literarische Gesamtwerk einer europäischen Autorin bzw. eines europäischen Autors verliehen. Zuletzt erhielten Patrick Modiano (2012), John Banville (2013), Ljudmila Ulitzkaja (2014), Mircea Cartarescu (2015), Andrzej Stasiuk (2016), Karl Ove Knausgård (2017) und Zadie Smith (2018) diese Auszeichnung.