Da geht sie also ihrer Wege, einer Winterreise gleich. Kreuz und quer durch Stockholms Innenstadt führen die Pfade von Adele, knapp über fünfzig Jahre alt. Nicht die herrschende Kälte macht ihr zu schaffen, sondern der Seelenfrost. Verursacht durch eine Beziehung, die meist ohnedies nur eine Entziehung gewesen ist. „Das Einsacken ins Gehen schieben. Vorgebeugt das Elend weiterzerren“, so beschreibt Marlene Streeruwitz die Haltung ihrer Protagonisten.
Man könnte es auch, im markanten, eigenwilligen Stil der Autorin, als „Fort. Bewegung.“ bezeichnen. Fort will Adele von all den Täuschungen. Demütigungen und Lügen, die Bewegung braucht sie, um ihre innere Balance und die verlorene Selbstkontrolle wieder zu finden. Wut, Verzweiflung, Hass auf die eigene Gutgläubigkeit, Zorn über die Rollenklischees der Frauen in der erneut auf Werkseinstellung geschraubten Gesellschaft treiben sie voran.
Schiefes Sittenbild
Knappe sechs Stunden lang begleitet Marlene Streeruwitz diese Frau. Doch aus einer anscheinend privaten Tragödie wird ein schiefes Sittenbild einer zerklüfteten Gesellschaft. Sie versuche, die Welt in einer Schneekugel einzufangen, die von allen Seiten besehen werden kann, sagt die Autorin. In „Flammenwand.“ weist diese Kugel etliche Risse auf, die Betrachtung erfolgt von drei Ebenen aus. Der Titel des Werks verweist auf Dantes „Göttliche Komödie“ und die Schilderungen des Autors über den Weg ins vermeintliche „Paradies“, durch eine Flammenwand verstellt. Bei Adele ist es die Seele, die brennt.
Anfangs durch das kurze, trügerische Glück der Liebe, am Ende durch maßlose Enttäuschung. Adele erteilt in Wien Asylanten Sprachunterricht, sie ist liiert mit Gustav, der in Berlin als Steuerfahnder tätig ist; ein Kontrollfreak. Adele nimmt mit Gustav nach Stockholm. Durch Zufall entdeckt sie, dass ihr Lebensgefährte ein Doppelleben führt.
Nullen und Leerstellen
Der Roman lässt sich auch lesen wie ein Arbeitsjournal, das Einblick bietet in die Entstehung der Geschichte. Zugleich ist das Buch eine Chronik nach rechts laufender politischer Ereignisse in Österreich. Jede Episode ist mit einem Datum und dem Verweis auf Anmerkungen im Anhang versehen. Dort finden sich insgesamt 83 Maßnahmen oder Vorhaben der türkisblauen Regierung. Dieser Anhang endet im Oktober 2018, ändert aber nichts an der Brisanz.
Im gewohnten Satz-Stakkato präsentiert die Autorin eine schonungslose Geschichte zur rechten Zeit. Sie gilt den Nullen, Heuchlern und Machos im Privaten und in der Politik „F lammenwand.“ Ist ein loderndes literarisches Manifest und eine Abrechnung zugleich, mit vielen Nullen unter dem Strich.
Buchtipp: Marlene Streeruwitz. Flammenwand. S. Fischer, 416 Seiten, 22,70 Euro.
Werner Krause