Am Ende, das sollten sich alle einmal anhören, die an die Macht des Theaters nicht mehr glauben mögen, ist das Burgtheater erfüllt von gedämpften Schnäuzgeräuschen. Das ist die Szene, in der Mendel Singer, einem Fremden gegenüberstehend, in diesem seinen verloren geglaubten Sohn erkennt; und es scheint unmöglich, in diesem Augenblick nicht berührt zu sein von der Hilflosigkeit, mit der dieser alte, geschlagene Mann der Größe seines Wunders begegnet.
Peter Simonischek beschert dem Publikum da als Mendel Singer einen eindringlichen Theatermoment, voll Wärme, Tiefe, Affekt; er überwältigt und entschädigt für vorangegangene zweieinhalb Stunden, in denen solche Emotionalität gefehlt hat.
Der bayerische Regisseur Christian Stückl hat am Burgtheater „Hiob“ inszeniert, Koen Tachelets Bühnenfassung von Joseph Roths 1930 erschienenem Roman. Weithin gilt dieses Buch als Roths zärtlichstes, weisestes Werk, eine tiefgründige Betrachtung von Glauben, Hoffnung und Verzweiflung. Es ist die Geschichte eines gottesfürchtigen jüdischen Thoralehrers, der mit seiner Familie vor Armut und Verfolgung nach Amerika flieht und den behinderten Jüngsten in Russland zurücklässt, weil „Krüppel“ in der schönen neuen Welt nicht erwünscht sind; der in Amerika nicht heimisch wird, nacheinander Frau und Kinder an Krieg, Tod und Wahnsinn verliert, mit Gott bricht und in einer märchenhaften Wendung von ihm reich beschenkt wird.
Der Schwierigkeit, ein so wortgewaltiges und vieldimensionales Werk für die Bühne zu adaptieren, begegnet Stückl mit einer Inszenierung, die der Roth’schen Sprachmacht einigermaßen stattgibt, aber zu den Protagonisten auf Distanz geht
Dadurch fällt, trotz exquisiter Schauspielerleistungen, die Anteilnahme schwer. Simonischek, der letzte Saison in Ayad Akhtars „The Who and the What“ als muslimischer Vater viel Warmherzigkeit gezeigt hat, spielt hier den jüdischen Schtetl-Patriarchen über weite Strecken als emotional Abwesenden, der sich durch ein behindertes Kind von Gott gestraft fühlt, als großen Kerl, der zu klein ist für sein Schicksal und all die Veränderung, die es von ihm verlangt. Eine Darstellung, die nicht nach Sympathien heischt, in einer Inszenierung, die ganz als Showcase für den Hauptdarsteller angelegt ist.
Neben ihm behauptet sich die fantastische Regina Fritsch als Singers enttäuschte, lebenshungrige Frau Deborah, die sich den Verhältnissen immer wieder entgegenstellt, gestalten Schauspieler wie Stefanie Dvorak und Tino Hillebrand kleinere Rollen mit Intelligenz und Gefühl. Und doch schleichen sich in der Inszenierung deutliche Längen ein, vielleicht auch, weil die Spiritualität der Vorlage auf gar so kleine Flamme gesetzt wirkt; um bloß als Migrationsgeschichte erzählt zu werden, ist Roths „Hiob“ zu groß.
Immerhin aber trösten eine von Norbert Joachim wunderschön ausgeleuchtete und von Stefan Hagereiter als unruhevolle wellige Hügellandschaft angelegte Bühne über die Unebenheiten dieser Inszenierung. Am Ende: großer Jubel, vor allem für den Hauptdarsteller.
Ute Baumhackl