Ein plötzlich dem Wildbach entsprungener Elefant bringt die Tropen in ein biederes Bergdorf, ein rothaariger Außenseiter steigt durch ihn zum Ehemann und Häuptling auf, statt Gipfelkreuzen wachsen auf Bergeshöhen Palmen, und die erstaunlich hitzefeste Dorfbevölkerung labt sich frohgemut an Bananen, Datteln und gebackenen Riesenschnecken. Doch der Dorfkaplan ist von den Veränderungen empört, und die Geier warten schon: ganz schön viel los in Wolfgang Bauers Drama „Der Rüssel“. Erst 2015 ist das 1962 entstandene Jugendwerk des Autors in Leibnitz wiederentdeckt worden, am Freitag wird es am Wiener Akademietheater uraufgeführt und ist bei Christian Stückl, weiland Uraufführungsregisseur von Werner Schwabs „Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“ in München und Leiter der Passionsspiele in Oberammergau, in absehbar guten Händen.
Nähe zum absurden Theater
21 Jahre alt war Bauer, als er „Der Rüssel“ schrieb. Das Ergebnis zeigt keinen Frühvollendeten á la Büchner, „aber auch wenn es nicht sein bestes Stück ist, es beeindruckt“, findet Thomas Antonic. Der aus Bruck an der Mur stammende Wiener Germanist und Bauer-Forscher, der die Publikation des Stücks im Ritter Verlag besorgt hat, schätzt des „Rüssels“ Nähe zum absurden Theater, zu Beckett oder Ionesco, und „dass Bauer hier Theaterformen wie Bauernschwank und klassische Tragödie mit Inhalten füllt, die jeder Konvention völlig widersprechen.“ Nicht nur auf Handlungsebene. Während der Dramatiker später für seine unverblümte Alltagssprache etwa in „Magic Afternoon“ berühmt werden sollte, werden hier wiehernde Rösser mit dem aufgedonnerten Befehl „Schweiget, Pferde!“ zur Räson gebracht. Und ein lüsterner Großvater betört die Geliebte seines Enkels mit einem Bart aus Schlagobers – ein frühes Beispiel für Bauers besonderen Humor. Der sollte ihm im Laufe seiner Karriere noch schaden, glaubt Antonic: „Bei den späteren Stücken kam ihm bei Kritikern seine Komik sicher in der Quere. Nach dem Motto: Was ernst ist, kann nicht auch lustig sein.“ Oft seien Stücke des Autors verrissen worden, obwohl das Publikum sie mochte, meint der Germanist.
"Heimatdichter der Alt-Achtundsechziger"
Ob „Der Rüssel“ das Zeug hat, zum Auslöser eines vielleicht doch überfälligen Bauer-Revivals zu werden, wird sich zeigen, „gerade sein Spätwerk“, sagt Antonic, „ist ja durchwegs höchstens ein-, zweimal inszeniert und dann vergessen worden.“ Tatsächlich hat Bauers dramatisches Gewicht erstaunlich rasch verloren: Gerade einmal eine Kritikergeneration brauchte es vom Ehrentitel „Nestroy der Beatgeneration“ zur herblassenden Bezeichnung „Heimatdichter der Alt-Achtundsechziger“.
Dass sich der Schöpfer von Stücken wie „Change“, „Gespenster“, „Magnetküsse“, „Ein fröhlicher Morgen beim Friseur“, „Insalata Mista“ am Burgtheater nie durchsetzen konnte, lag der Legende nach übrigens an einem energischen Konkurrenten: Thomas Bernhard soll einst persönlich bei Claus Peymann gegen Bauer interveniert haben. Für wen der beiden Dramatiker sich der Theatermacher nach der Drohung „Er oder ich“ entschieden hat, ist bekannt. Insofern ist es wohl nur würdig und recht, dass Bauer nun, wenn auch posthum, die Genugtuung dieser Uraufführung am Akademietheater widerfährt.
Kultautor seiner Zeit
„Ich versuche meine Texte wie einen Traum zu schreiben,“ lautete eine von Wolfgang Bauers raren Selbstauskünften über seine Tätigkeit. Er hielt wenig vom Theoretisieren. „Man muss an einem Punkt zu schreiben beginnen, wo man es noch nicht ganz im Kopf hat. Es muss noch weiße Flecken geben.“
Die literarische Laufbahn des Grazers nahm in den 1960ern Fahrt auf. Nach einer Reihe absurder Mikrodramen, ersten Theaterstücken und dem Roman „Fieberkopf“ gelang Bauer 1968 mit „Magic Afternoon“ der Durchbruch: eine schneidend scharfes Porträt eines sinnbefreiten Daseins. Dass das Leben eine belachbare, obschon todernste Groteske ist, zeigte er in immer bizarrer anmutenden Stücken, die er mit Theaterpranke zu Papier brachte.
Seine provokante Gesellschaftskritik sorgte für Skandale und Erfolge. Der Zeitgeist half ihm, in 35 Ländern wurde er aufgeführt. Mit den Inszenierungen war Bauer mitunter nicht glücklich, Regisseure bezeichnete er ironisch als „Störenfriede“. Dass sein „Rüssel“ jetzt gezeigt wird, hätte ihn vermutlich aber doch ungemein gefreut. Martin Gasser
Ute Baumhackl