Eigentlich müssten die jungen Leser von damals heute aufgeklärte Erwachsene sein. Oft Jahre bevor Themen wie Integration von Einwanderern oder Restitution von jüdischen Kulturgütern zur öffentlichen Tagesordnung gehörten, schrieb die österreichische Kinderbuchautorin Renate Welsh kindergerecht und vorausblickend über Einzelschicksale, an denen sich wenig geändert zu haben scheint.
Heute feiert die vielfach ausgezeichnete Autorin von Büchern wie "Ülkü, das fremde Mädchen" (1970), "Das Vamperl" oder "Johanna" (beide 1979) ihren 80. Geburtstag. Derzeit verbringt sie ihre Zeit vor allem bei Schreibwerkstätten, hofft auf die Veröffentlichung ihrer Kurzgeschichten für Erwachsene und hadert mit einem erst begonnenen Roman. Als nächstes Kinderbuch schwebt ihr die Figur eines schüchternen Buben vor, wie sie im APA-Interview erzählte.
Faible für Außenseiter
Welsh, geboren am 22. Dezember 1937 als Renate Redtenbacher in Wien, begann schon als Kind zu schreiben, "um mich durchzusetzen". Mit 15 ging sie mit einem Stipendium für ein Jahr nach Portland (USA). Nach der Matura in Wien studierte sie Englisch, Spanisch und Staatswissenschaften, brach ihre Ausbildung aber bald ab und heiratete. Danach arbeitete Welsh freiberuflich als Übersetzerin. Seit 1970 ("Der Enkel des Löwenjägers") verfasst sie Kinder- und Jugendbücher. Vorwiegend erzählt die Autorin von Außenseitern, die erst lernen müssen sich zu behaupten.
Den kommerziell größten Erfolg landete Welsh mit "Das Vamperl", der Geschichte über einen kleinen Vampir, der den Menschen das Gift aus der Galle saugt. Zu ihren politisch engagierten Büchern zählt unter anderem "Ülkü, das fremde Mädchen": Vor über 40 Jahren beschrieb Welsh das schwierige Leben eines eingewanderten türkischen Mädchens, das sich nach einiger Zeit in Österreich hier mehr zu Hause fühlt, als in ihrer Heimat - was aber nicht das Ende der Probleme bedeutet.
In dem Buch "Dieda oder Das fremde Kind" erzählt sie von ihrer eigenen Kindheit am Ende des Zweiten Weltkrieges. "Besuch aus der Vergangenheit" heißt das Buch, in dem es um die Restitution geraubten jüdischen Eigentums geht, "Drachenflügel" ist die Geschichte eines Mädchens und ihres behinderten Bruders. Der bekannte Roman "Johanna" ist ein einfühlsamer Text über eine unehelich geborene Magd, die sich in der Zwischenkriegszeit aus einem erniedrigenden und nahezu rechtlosen Dienstbotendasein befreien kann.
Mehrfach ausgezeichnet
1980 erhielt Welsh den Deutschen Jugendliteraturpreis, 1992 wurde ihr der Österreichische Würdigungspreis für ihr Gesamtwerk sowie der Berufstitel "Professorin" verliehen. Weiters erhielt die Autorin mehrfach den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis sowie den Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien und das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien. Mehrmals war Welsh in den vergangenen Jahren für den hoch dotierten Astrid-Lindgren-Preis nominiert. 2017 erhielt sie den Theodor-Kramer-Preis.
Welsh lebt in Wien und veranstaltet neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit seit mehreren Jahren Schreibwerkstätten für Behinderte und Randgruppen. Im Februar 2006 wurde Welsh zur Präsidentin der IG Autorinnen und Autoren gewählt, im selben Jahr erhielt sie den mit 11.000 Euro dotierten Würdigungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur. Weiters verfasst die Autorin Hörspiele und Theaterstücke.
Anlässlich ihres 80. Geburtstags widmen sich die "Tonspuren" auf Ö1 der Autorin am 19. Dezember (16.05 Uhr) mit dem Feature "Nur nicht schreiben ist schlimmer, als schreiben." Unter dem Titel "Was glauben Sie?" spricht die Schriftstellerin in "Logos - Glauben und Zweifeln" am 23. Dezember (19.05 Uhr) über das, was sie im Leben trägt.