Thomas Mann gilt nicht nur als der wohl berühmteste deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, er und seine ungewöhnliche Familie haben auch Zeitgeschichte geschrieben. Das dokumentiert die Hörbuch-Edition "Der Kreis des Zauberers. Thomas Mann und Familie. Gesammelte Ton- und Filmdokumente" (Hörverlag) mit fast 22 Stunden Originalton-Dokumenten.
Wenn sich spätere Generationen ein Bild von den geistigen und politischen Wirrnissen im 20. Jahrhundert aus deutscher Sicht machen wollen, werden sie in den Werken, Aktivitäten und Erlebnissen von Thomas Mann und seiner umtriebigen Familie, einem "Jahrhundertclan", fündig werden. Das gilt nicht nur für die schriftlich überlieferten Zeugnisse wie die großen Romane, Erzählungen und gesellschaftspolitisch engagierten Essays und Vorträge, sondern auch für zahlreiche erhaltene Originaltondokumente, die in der neuen Edition mit 17 CDs und einer DVD enthalten sind. Sie ergänzt und erweitert schon früher dazu veröffentlichte Hörbücher.
Prominenter Hitler-Gegner
Der Literaturnobelpreisträger und Autor der "Buddenbrooks" hatte sich schwergetan damit, sein Vaterland 1933 auf Dauer zu verlassen, war er doch in der deutschen Sprache und Kultur zu stark verwurzelt. Seine Bücher seien "verzweifelt deutsch", meinte er einmal. Und auch im Ausland habe er "als Deutscher zu den Deutschen gesprochen". Doch die "idiotische Rohheit des gegenwärtigen Deutschtums", wie er es damals nannte, ließen dem feinsinnigen und feinnervigen und eben auch hellhörigen Künstler keine Wahl.
"Vorsicht ist geboten bei allen Personen namens Mann", warnte 1936 in Hitler-Deutschland das Ordnungsamt seiner Vaterstadt Lübeck. Thomas Mann wird zu einem der prominentesten deutschen Hitler-Gegner im Ausland, was ihn selbst noch im Nachkriegsdeutschland nicht nur Freunde machen wird. Seine unermüdlichen Appelle an die "Deutschen Hörer!" über die BBC sind auch in dieser Hörbuch-Edition in Ausschnitten enthalten (es gibt sie in einer eigenen Edition). "Kann ein Volk tiefer sinken?" lautete damals seine anklagende Frage an seine Landsleute.
Später beklagte Thomas Mann im Goethe-Jahr 1949 den "deutlichen Widerspruch zwischen kulturellem Rang und politischer Misere" der Deutschen, unter dem schon Goethe gelitten habe. In der hier auch dokumentierten Rede in der Frankfurter Paulskirche warnte Mann vor dem Hang der Deutschen zum "nationalen Rausch" und meinte, dass Bildung "erst mit der Kenntnis und Eroberung der fremden Sprache, Kultur und Geistesformen beginnt". Und in seinem Vortrag im selben Jahr über "Goethe und die Demokratie" erinnerte Mann an die Warnungen des 78-jährigen Goethe im Gespräch mit Eckermann vor einem "pedantischen Dünkel" der Deutschen, wenn sie "nicht aus den engen Kreisen unserer eigenen Umgebung hinausblicken". Er selbst sehe sich gerne bei fremden Nationen um und rate es jedem, es auch seinerseits zu tun.
Und alles andere als ein "Mann von gestern" wirken die hier ebenfalls dokumentierten Äußerungen Thomas Manns in seiner Rede zum 150. Todestag Friedrich Schillers 1955, wenige Monate vor seinem eigenen Tod quasi als politisches Vermächtnis über rabiaten Nationalismus als "die Sprache von gestern", mit der, "jeder fühlt es, kein Problem, kein politisches, ökonomisches, geistiges, mehr zu lösen ist".
Was die neue Edition besonders interessant macht, sind die zusammengetragenen Originaltondokumente auch der anderen Familienmitglieder wie Ehefrau Katia ("Frau Thomas Mann") und die Kinder wie Erika, Klaus und Golo Mann. Vom Thomas-Mann-Bruder Heinrich Mann sind laut Herausgeber (Robert Galitz und Kurt Kreiler) keine Tondokumente überliefert.
Katia Mann erzählte, dass ihr Mann in der Familie ihrer Mutter manchmal spöttisch der "leberleidende Rittmeister" genannt wurde, weil er "so blässlich und schmal" gewesen sei. Wenn das Familienoberhaupt einmal vermeintlich ironisch über den Mann-Familienclan bemerkte, "wir sind schon eine erlauchte Versammlung, aber einen Knacks hat jeder", dann mag er selbst auch einen gewichtigen Anteil daran gehabt haben, wenn man zum Beispiel die Erzählungen über die manchmal auch "bedrückende Atmosphäre" im Elternhaus von Golo Mann hört. "Gespielt hat er nicht mit uns", sagte der spätere Historiker ("Wallenstein") über seinen Vater und die Kindheit. "Er war in sich versunken, ich war ungern mit ihm alleine... Es war verkrampft." Kinder seien für den Vater eher eine Bedrohung seiner Arbeitsruhe gewesen, die sei für ihn wichtiger als seine Kinder gewesen.
Die Unentbehrlichen
Die Ehefrau und Mutter sei für den Schriftsteller "völlig unentbehrlich" gewesen. Die Tochter Erika wiederum war für den Literaturnobelpreisträger, der nur mühsam die englische Sprache erlernte, im amerikanischen Exil unentbehrlich. Sie half bei Übersetzungen und begleitete ihren Vater auf seinen zahlreichen Vortragsreisen, bei denen er die Amerikaner von der Notwendigkeit des Krieges gegen Hitler-Deutschland überzeugen wollte. "Der Krieg gegen Japan leuchtete ihnen ein", erinnerte sich Erika Mann, "der gegen Nazi-Deutschland weniger, das war besonders bei den Leuten auf dem Land so, in den kleinen, verlorenen Städten des Mittleren Westens". Es sei schwierig gewesen, ihnen zu erklären, "was Hitlers Eroberungszüge letztendlich für die Welt bedeuten können".
Sein letztes Lebensjahr sei für Thomas Mann sein "Erntejahr" gewesen, meinte Erika Mann. "Es brachte für ihn endlich, jedenfalls weitgehend ein Ende der Anfeindungen, die Versöhnung mit Deutschland und sogar die überfällige Versöhnung mit der Vaterstadt Lübeck, die ihm ja gram gewesen war schon wegen der 'Buddenbrooks'", meinte die Tochter. Oder im übertragenen Sinne mit Tucholsky leicht abgeändert zu sprechen, "halb Lübeck saß auf dem Sofa und war beleidigt".