Die türkische Autorin Elif Shafak (46) ist Freitagabend im Rahmen der Europäischen Literaturtage in Spitz mit dem "Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln" ausgezeichnet worden. Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels (HVB), überreichte die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung.
Mit geglückten Komplimenten tue sich die Männerwelt im Zeitalter der #metoo-Bewegung und der erhöhten Sensibilität für Fragen des korrekten Umgangs miteinander offenbar schwer, merkte Laudatorin Rosie Goldsmith an. Buchhändler Karl Pus hatte sich nämlich eingangs besonders erfreut gezeigt, dass der Preis, der sonst üblicherweise an "ugly old men" verliehen werde, wie er scherzhaft bemerkte, heuer Shafak zuerkannt worden sei. Die in London und Istanbul lebende Preisträgerin, die u.a. für ihr aktives Eintreten für Gleichberechtigung und Frauenrechte bekannt ist, nahm es indes gelassen und zeigte sich von der Auszeichnung sehr geehrt.
Auskunft statt Dankesrede
Statt einer Dankesrede gab Shafak im Gespräch mit Goldsmith Auskunft über ihr Leben und Schreiben. Dabei hob die Autorin, deren Werk bisher 15 Bücher - darunter zehn Romane - umfasst und in über 40 Sprachen übersetzt wurde, "sisterhood" und "storyland" als die Basiskonzepte ihres Lebens hervor: Als Kind sei sie von ihrer Mutter und ihrer Großmutter erzogen wurden, die eine säkularisiert, die andere religiös (eine innerfamiliäre Zerrissenheit, die auch in ihrem bisher letzten Roman "Der Geruch des Paradieses" eine Rolle spielt), und habe, als sie beim Tagebuchschreiben feststellen musste, dass ihr Leben zu uninteressant sei, um darüber zu schreiben, begonnen, Geschichten zu erfinden.
Ihr Leben und ihr Schreiben sei der Versuch, klaren Zuordnungen und Einordnungen entgegenzuarbeiten, sagte Shafak. "Ich mag keine Identitäten, und ich mag keine Identitätspolitik, die uns auf eine einzige Identität reduziert." Der Mensch bestehe zum Großteil aus Wasser, und genauso flüssig und instabil seien jene Dinge, die einen Menschen ausmachten - wie eben etwa Geschlecht und Kultur. Dass auch der vermeintlich liberale Kultur- und Literaturbetrieb nicht von den die restliche Gesellschaft dominierenden Hegemonien und Sexismen frei sein, sei eine Erfahrung, die sie bereits als junge Autorin (ihr erstes Buch erschien im Alter der Autorin von 23 Jahren) gemacht habe.
Laudatio von Goldsmith
In ihrer Laudatio hab Goldsmith hervor, wie hervorragend der Ehrenpreis für Toleranz in Denken und Handeln auf Elif Shafak passe. "Wäre sie ein Armeegeneral - was für ein Gedanke! - würde sie ganze Reihen von Orden an ihrer Brust tragen." Allein in der vergangenen Woche habe sie unzählige Male ihre Stimme zum Protest erhoben - die Themen reichten dabei von der Verfolgung der muslimischen Rohingya in Myanmar über einen Neonazi-Aufmarsch in Warschau bis zu jede Woche neu aufgedeckten Sex-Skandalen oder den Brexit-Verhandlungen in Großbritannien, dem Land, in dem sie lebe. Sie nehme ihre Rolle als öffentliche Intellektuelle ernst und nehme auch persönliche Risiken, Anfeindungen und Drohungen dafür in Kauf. "Was ihre vielen Anliegen eint, ist ihr Verlangen, die Welt besser, toleranter und liebevoller zu machen."
Der seit 1990 vom HVB und dem Fachverband Buch- und Medienwirtschaft der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) ausgerichtete Preis wurde heuer zum 27. Mal verliehen. Er geht an einen Autor, "der sich in seinem literarischen oder publizistischen Werk und durch sein Engagement für Toleranz gegenüber anderssprachigen und kulturell anders geprägten Nachbarn in herausragender Art und Weise eingesetzt hat und somit einen Beitrag zu einem friedlichen Miteinander in Europa geleistet hat". Der Preis wurde erstmals 1990 an Milo Dor vergeben, weitere Preisträger seither waren u.a. Viktor Frankl, Kardinal Franz König, Gerhard Roth, Simon Wiesenthal, Hugo Portisch, Christine Nöstlinger, Josef Haslinger, Karl-Markus Gauß, Ilse Aichinger, Konrad Paul Liessmann, Erich Hackl, Barbara Frischmuth, Barbara Coudenhove-Kalergi und Doron Rabinovici.