Absage an Rechtspopulismus und Fremdenhass, Bekenntnis zu europäischen Visionen und einer Kultur- und Bildungspolitik, die die jungen Leute mitnimmt: Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat bei einer Debatte über die Zukunft Europas an der Frankfurter Goethe-Universität eine "Koalition des guten Willens" gefordert. Anschließend beschwor er am Dienstagabend gemeinsam mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse die kulturellen Bindungen beider Länder. Frankreich ist Ehrengast der weltgrößten Bücherschau.
Wenige Wochen nach seiner viel beachteten Rede an der Pariser Sorbonne-Universität wiederholte er nun vor den Studenten und Hochschulmitarbeitern den Aufruf, sich wieder stärker mit der Identität Europas zu befassen und dabei auch die Bereiche Kultur und soziale Gerechtigkeit nicht zu vernachlässigen. "Kultur ist ein Bindemittel", betonte Macron.
Zugang zu Kultur und Bildung machte er auch als Gegenmittel zur Radikalisierung junger Muslime nicht nur in Frankreich aus. Zwar sei bei der Bekämpfung von islamistischem Terrorismus auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Nachrichtendienste eine europäische Aufgabe, sagte Macron in der Debatte mit dem deutsch-französischen Politiker Daniel Cohn-Bendit und dem Islam-Experten Gilles Kepel. Erziehung und Ausbildung seien aber ebenfalls ein Gegenmittel: "Ein gut ausgebildetes Kind aus einer glücklichen Familie geht nicht zum IS."
Viele junge Menschen aus Einwandererfamilien in armen Stadtvierteln seien in der Vergangenheit allein gelassen worden, kritisierte Macron. "Ich glaube wirklich an Reformprojekte zu sozialer Mobilität." Es gelte, den Zugang zur französischen Sprache, aber auch den immer wichtiger werdenden Fremdsprachen auch Jugendlichen aus benachteiligten Vierteln zu ebnen. "Jeder junge Mensch, egal, wo er geboren ist, muss Zugang zur französischen Literatur, zu Goethe und Beethoven haben - das ist Exzellenz!" Vielleicht, so hoffte Macron, könnten gefährdete Jugendliche in der französischen Literatur sogar "positive Helden" entdecken, ehe sie womöglich in extremistischen Kämpfern ein Vorbild sehen.
Bei der Eröffnung der Buchmesse plädierte Macron in einer von rund 1.000 Gästen mit großem Beifall bedachten Rede erneut für den Aufbau europäischer Hochschulen bis spätestens 2022 sowie für mehr Austauschprogramme für Studenten. Zugleich müsste das Lernen aller Sprachen in einem vielfältigen Europa gestärkt werden, sagte Macron, der als einen seiner ersten Schritte bilinguale Schulen eingerichtet hat.
Dem "Europa der Cafes" und der kulturellen Intelligenz sei es zu verdanken, dass die über viele Jahrhunderte gewachsenen Bindungen zwischen Deutschland und Frankreich nie zerstört worden seien, sagte der französische Präsident. Wie Macron hob Kanzlerin Merkel hervor, dass sich beide Länder als große europäische Kulturnationen trotz vieler Kontroversen und Konflikte immer gegenseitig befruchtet hätten.
Sie versprach, sich gemeinsam mit Macron auf europäischer Ebene für das "Kulturgut Buch" und für den Schutz der Rechte von Autoren angesichts der digitalen Herausforderung einzusetzen. Die neue Regierung in Berlin werde sich auch weiterhin für die Meinungsfreiheit in allen Ländern stark machen.
Zuvor hatte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, Merkel aufgefordert, mehr für die in der Türkei inhaftierten Schriftsteller und Journalisten zu tun. Den größten Beifall auf der Eröffnungsfeier erhielt die anwesende türkische Autorin Asli Erdogan, die im vergangenen Jahr wegen Volksverhetzung mehrere Monate in der Türkei in Haft war.
7300 Anbieter aus mehr als 100 Ländern
Die Veranstalter der Buchmesse rechnen heuer mit einer leichten Steigerung der Ausstellerzahl um gut zwei Prozent. Insgesamt werden zur weltgrößten Bücherschau rund 7.300 Anbieter aus mehr als 100 Ländern erwartet, wie Buchmesse-Direktor Juergen Boos sagte.
Zum Messeauftakt forderte die deutsche Buchbranche von der künftigen deutsche Regierung mehr Einsatz für eine unabhängige und lebendige Verlagslandschaft. "Es geht um nichts Geringeres als die Qualität der Bildung", sagte Heinrich Riethmüller.
Nur wenn Verlage auch eine marktgerechte Vergütung erhielten, könnten sie in Literatur und innovative Vertriebsmodelle investieren, sagte Riethmüller. Er kritisierte die vom Deutschen Bundestag im Sommer beschlossenen Einschränkungen des Urheberrechts. Wenn etwa Kindergärten und Hochschulen bestimmte Anteile von digitalen Werken kostenlos zusammenstellen dürften, sei dies ein schwerer Schlag für die rund 600 Bildungs- und Wissenschaftsverlage.
Angesichts eines erstarkten Rechtspopulismus und von Fake News komme den Verlagen eine wichtige Rolle zu, sagte Boos. "Wir liberal-demokratisch gesinnte Büchermenschen müssen in Zeiten, in denen (...) die Verbreitung von Angst und Hass wieder gesellschaftsfähig wird, mit attraktiven Gegenentwürfen antworten", erklärte der Buchmesse-Direktor. "Wir haben die besseren Geschichten, bei uns gibt es die menschenfreundliche Variante."
Auch Riethmüller betonte, dass Verlage und Buchhandlungen verlässliche Informationen lieferten und den gesellschaftlichen Dialog förderten. "Wir stehen für Pluralität und den Austausch von Meinungen", sagte er zur Eröffnung. Bücher seien auch Zündstoff und würden daher von Despoten gefürchtet.
Das Buch erlebe seine "weltweit beste Zeit seit 50 Jahren", sagte der Chef des weltgrößten Publikumsverlags Penguin Random House, Markus Dohle. Die Buchmärkte seien in den vergangenen Jahren in den meisten Ländern langsam, aber kontinuierlich gewachsen, und es habe sich eine "gesunde Koexistenz" zwischen gedruckten und digitalen Büchern entwickelt.
Besonders positiv stimmt Dohle, dass Kinder- und Jugendbücher in den wichtigen Märkten zu den am schnellsten wachsenden Kategorien zählten. "Geschichten erzählen und Geschichten konsumieren, wird auch in den kommenden Generationen wichtig sein." Die Renaissance des gedruckten Buches sei auch erfreulich, weil sie den Buchhandel stabilisiere. Der Buchhändler am Ort sei immer noch der wichtigste Ort für Leser, um neue Geschichten zu entdecken.