25 Jahre nach der Entstehung von Werner Schwabs „Faust:: Mein Brustkorb: Mein Helm“ startet das Grazer Schauspielhaus mit dem Brachialwerk des 1994 jung verstorbenen, letzten versoffenen Genies der Murmetropole in die dritte Saison von Intendantin Iris Laufenberg.
In gutem alten „Schwabisch“ steht die Sprachzertrümmerung wieder im Vordergrund. Protagonist Florian Köhler liefert wortgewaltig das neuzeitliche Unterfutter zum „Faust“-Original. Konzentriert sich die Punkcoverversion doch aufs Behauen des klassischen Stoffs, um mit Motivsplittern eine gegenwärtige Paraphrase zu formen. Die prasselt in fäkalisch-sexuellen Sprechkaskaden zwei Stunden lang auf das Publikum ein. Mit der österreichischen Erstaufführung hievt Claudia Bauer („Volpone“) einen grellen Brocken – wenn auch keinen Hochschwab – auf die Bühne.
Eine ausführliche Kritik folgt am Samstag.
Faust, durch den Fleischwolf gedreht
Schon vor der Österreichischen Erstaufführung von „Faust:: Mein Brustkorb: Mein Helm“ sprach unsere Kulturredakteurin Julia Schafferhofer mit den zwei Hauptdarstellern Florian Köhler (Faust) und Benedikt Greiner (Mephisto).
Die Kritiken der Uraufführung von „Faust:: Mein Brustkorb: Mein Helm“ waren, und das ist noch milde ausgedrückt, vernichtend. „Die Inszenierung von Thomas Thieme bewies nur, dass es nicht spielbar ist. Kein gutmütiger Mensch ist in der Lage, drei pausenlose Stunden lang Schwabs einfältig-abgründigem Wortmäandern geistig zu folgen“, hieß es in der Rezension der „Berliner Zeitung“ vom 31. Oktober 1994.
Die Schwab’sche Faust-Zerquetschung mit den drei Doppelpunkten im Titel „Faust:: Mein Brustkorb: Mein Helm“ aus dem Jahr 1992 zählt neben „Der reizende Reigen nach dem Reigen des reizenden Herrn Arthur Schnitzler“ und „Troiluswahn und Cressidatheater“ zu Schwabs sogenannten Coverdramen. Und erstmals bediente sich der Dichter-Underdog darin einer stark rhythmisierten, in Versen verfassten Sprache.
Auf Bühnen gehievt wurde der von ihm durch den Fleischwolf gedrehte Faust bislang nur unfassbare zwei Mal. Erlebt hat Schwab die Uraufführung im Hans-Otto-Theater in Potsdam, „Blechdose“ genannt, mit Musik der „Einstürzenden Neubauten“ und Blixa Bargeld als Mephisto nicht mehr, er starb in der Silvesternacht 1993/94.
Nach der Uraufführung inszenierte nur noch der heuer verstorbene Theatermacher Ernst M. Binder in Schwerin „Faust:: Mein Brustkorb: Mein Helm“. Heute Abend erfährt die Faust-Paraphrase, 23 Jahre nach der Uraufführung, ihre späte Österreich-Premiere am Schauspielhaus in Schwabs Heimatstadt Graz. Prominent zum Saisonstart.
In die Rolle des Faust schlüpft Florian Köhler, den Mephisto, bei Schwab eine Absonderung Fausts, verkörpert Benedikt Greiner. Beide Schauspieler treffen wir in einer Probenpause zu einem Gespräch über das bildgewaltige, nicht leicht einzutrichternde Schwabische – jener einzigartigen Sprache mit den Wörtern, „die man erst im Kopf gebären muss, um sie aus dem Mund herausgebären zu können“, sagt Köhler. Er vergleicht es mit einem „Assoziationsbuffet“. Bei einigen hätte er sich erst zur Liebe zwingen müssen. Wenn etwa ein „großkampftäglicher Winkelzug“ ins Gespräch kommt. Oder, betont Greiner, auch wenn von der „Hinterherbrandgeruchssprache“ die Rede ist. „Die Figuren existieren nur, wenn sie sprechen“, sagt er. Und: Bei Schwabs Faust-Version existieren mehrere Sprachebenen, die im Stück mit verschiedenen Schriftarten gekennzeichnet sind.
„Es geht darum, das Stück sozusagen vom Himmel herunter- und von der Hölle heraufzuholen“, hat Schwab einmal über seinen Faust gesagt. Auf Zitate von Goethe folgt der Wahnsinnsritt. „Ich sehe den Schwab-Faust als eine Ableitung vom Goethe-Faust“, sagt Greiner.
Die Auswüchse, die fantasiefigürlichen Schöpfungen nehmen ihren Ausgangspunkt in Fausts wahnvollem Studierzimmergehirn. Motto: „Raus aus dem Hirn, rein ins Fleisch!“ Köhler vergleicht die titelgebenden Coverdramen so: „Mich erinnert es an ein Beatles-Cover in einer Free-Jazz-Variation.“
Eines ist für die Schauspieler klar: Die Inszenierung unter der Faust-Expertin Claudia Bauer wird nicht ohne Konsequenzen bleiben: Mittelmaß und Schwab passen nicht zusammen. „Entweder man liebt den Abend oder man hasst ihn.“ Und das trifft auch auf Schwab zu.
Elisabeth Willgruber-Spitz