Plötzlich steht er da, Elenas große Liebe und die verflossene ihrer Freundin Lina. Als Retter in Not taucht Nino Sarratore bei ihrer ersten öffentlichen Lesung auf, als Elena von einem Kritiker in die Mangel genommen wird. Fans der Neapel-Tetralogie von Elena Ferrante werden sich an den Schluss des zweiten Teils erinnern, wenn sie den nun auf Deutsch erschienenen dritten Band zu lesen beginnen.

Und Nino ist nur eine Figur von vielen, die die in aller Welt bekannt gewordenen Freundinnen verbindet - und das konfliktreich wie eh und je. Figuren, Orte, die Gleichzeitigkeit von Liebe und Hass, Gewalt und Zuneigung, Armut und Aufstieg ziehen sich wie im ersten und zweiten Teil auch durch "Die Geschichte der getrennten Wege". Sie steht nicht für sich, die Handlung knüpft aus Perspektive der Ich-Erzählerin Elena genau dort an, wo sie im Vorgängerband aufgehört hat. Die Freundinnen, die sich nach der gemeinsamen Kindheit in einem Armenviertel von Neapel zusehends voneinander distanziert haben, entfernen sich weiter voneinander und bleiben doch stets miteinander verwoben. Das Leben der einen scheint sogar teilweise ein Abbild der anderen zu sein.

Lebenskrise

War es in Jugendjahren Lina, die in eine unglückliche Ehe geriet und deren junge Mutterschaft an ihr zehrte, entwickeln sich die Dinge zwischen Elena und dem intellektuellen, aber nicht sonderlich attraktiven und emphatischen Pietro auch nicht zum Guten. Elena, die sich zunächst unverhofft als Romanautorin einen Namen macht, gerät in eine Lebenskrise, ringt mit ihrer Rolle als Mutter und bringt kein überzeugendes zweites Buch zustande. Lina dagegen kommt, wie zu Beginn auch Elena, plötzlich zu Erfolg. Auch in ihr Privatleben kehrt Normalität ein, nachdem sie den elendigen, von sexueller Gewalt durchzogenen Alltag in einer Wurstfabrik hinter sich gelassen hat.

Auf 540 Seiten führt Ferrante durch die Höhen und Tiefen und die Ambivalenz der Beziehung zwischen den Frauen. Mal sind sich "Lila" und "Lenù", wie sich die Freundinnen nennen, überraschend nahe. Dann telefonieren sie wieder nur, ihre Freundschaft besteht aus Worten, nicht mehr. Mal vermisst Elena ihre Freundin, die im "Rione" zurückgeblieben ist. Dann "tauchte der Wunsch wieder auf, Lila möge krank sein und sterben". Es ist ein einziges Auf und Ab und Hin und Her, ein Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz. Damit erfüllt Ferrante die Erwartungen ihrer Leser, läuft aber Gefahr, dass sich das Muster abnutzt. Denn für Überraschung sorgt es nach zwei Bänden nicht mehr.

Persönliche Ebene

Spannend macht das Buch dagegen die Zeit, in der die Autorin die jungen Erwachsenen verortet. Sie erleben die konfliktreichen Jahren zwischen 1968 und 1976 in Italien, die von Demonstrationen und dem Terror und den Auseinandersetzungen zwischen Faschisten und Kommunisten geprägt sind. Unter den Opfern von tödlicher Gewalt sind auch Bekannte der beiden Frauen. Lila wird zur Kämpferin um die Rechte der Arbeiter in ihrer Fabrik, Lenù taucht über ihre Schwiegereltern in die intellektuelle Welt der Salonkommunisten ein, geht zu Straßendemonstrationen. Die Polizei geht repressiv vor, die Angst vor einem Staatsstreich ist allgegenwärtig. Ferrante gelingt es, die große soziale und politische Dimension mit der persönlichen Ebene zu verknüpfen.

Eine weitere Stärke: Trotz getrennter Wege lässt Ferrante durch Rückblenden, die sich durch Gespräche der Freundinnen ergeben, den Leser auch unmittelbar an den Erlebnissen von Lina teilhaben. Auch zieht die Autorin den Leser durch präzise Beschreibungen ("als der schwarze Himmel so tief hing, dass er auf den Häusern zu liegen schien") in die Szenerie oder aber in den Gedankenstrom der Erzählerin. So etwa an dieser Stelle: "Was will ich? Meine Herkunft ändern? Mit mir auch die anderen ändern? Diese jetzt menschenleere Stadt mit Bürgern bevölkern, die ohne den Druck von Armut oder Habsucht sind, ohne Groll und ohne Wut, fähig, die Herrlichkeit dieser Landschaft zu genießen, wie die Götter es taten, die sie einst bewohnten?"

Wie eine Lokomotive

"Ferrante zieht einen wie eine Lokomotive durch ihren Text, das muss man im Deutschen nachbilden, im Großen wie im Kleinen", sagte Ferrante-Übersetzerin Karin Krieger der "Süddeutschen Zeitung". An ihr ist es nun, bis Anfang 2018 die deutsche Fassung des vierten und letzten Teils der Erfolgssaga, "Die Geschichte des verlorenen Kindes", zu vollenden. Im kommenden Jahr soll auch eine Fernsehserie von RAI und dem US-Sender HBO an den Start gehen, die die dramatische Frauenfreundschaft auf den Bildschirm bringt. Bis es soweit ist, wird sich alle Welt weiter fragen, wer die Erfolgsromane nun wirklich geschrieben hat. Denn noch immer hält sich die Autorin hinter ihrem Alias Elena Ferrante versteckt.