Als sie es nicht mehr aushält, nimmt Cora die Eisenbahn. Genauer gesagt: die Underground Railroad. Historisch war diese ein Netzwerk von Abolitionisten, die entflohene Sklaven aus den US-Südstaaten in den Norden und damit in die Freiheit schleusten. US-Autor Colson Whitehead imaginiert dieses Netzwerk nun als tatsächliche Bahnlinie, deren geheime Tunnelsysteme die USA der Vor-Bürgerkriegszeit durchziehen. Cora, eine junge Sklavin auf einer Plantage in Georgia, flieht vor Auspeitschung, Verstümmelungen, sexueller Gewalt.
Aber die Reise, die so magisch beginnt, führt durch ein alptraumhaftes Land: in South Carolina kauft der Staat Sklaven auf. Scheinbar, um sie zu bilden. In Wahrheit, um heimlich medizinische Experimente an ihnen durchzuführen. In North Carolina, Coras nächster Station, ist die Sklaverei abgeschafft. Für weiße Milizen Grund genug, Schwarze erst recht systematisch zu verfolgen und zu töten.
Wer sich bei solchen Geschichten an die heimlich durchgeführte Syphilis-Studien an der afroamerikanischen Bevölkerung in den 1930er-Jahren erinnert fühlt oder an die aktuellen Übergriffe der US-Polizei, liegt wohl richtig. Whiteheads fabelhafter, inzwischen vielfach ausgezeichneter Roman lässt sich auch als Kommentar auf die fortgesetzte Unterdrückung und die gegenwärtige Situation der Schwarzen und anderer Minderheiten in den USA lesen.
Gleichzeitig funktioniert „Underground Railroad“ auch als Thriller und Abenteuerroman, dessen magischer Realismus die Gräuel, denen Cora und ihre Leidensgenossen ausgesetzt sind, umso schärfer ausstellt. Dass letztlich die Untergrundeisenbahn Cora nicht die ersehnte Freiheit bringt, ist nur logisch. Aber sie schließt sich am Ende einem Wagentrek an, der in den Westen führt. In Zeiten, als Freiheit dort noch möglich schien, oder gar war.
Colson Whitehead. Underground Railroad. Hanser. 352 Seiten, 24,70 Euro.
Ute Baumhackl