Die Zukunft sieht ziemlich alt aus in "American War", dem brisanten Debütroman des in Ägypten geborenen, in Kanada aufgewachsenen Journalisten Omar El Akkad. Im Jahr 2075 stehen die USA vor einem zweiten Bürgerkrieg. Aufgrund des Klimawandels sind viele Küstenstädte längst verschwunden. Die Hauptstadt der Nordstaaten ist nach Columbus in Ohio verlegt worden, im stark dezimierten Süden herrschen Elend und Rebellen. Teile von Kalifornien und Texas sind mexikanisches Protektorat, China und ein Verbund nordafrikanischer Staaten bilden die neuen Supermächte, die mit Hilfslieferungen die notleidende Bevölkerung im amerikanischen Süden unterstützen.
Hier lebt zu Beginn des Romans im Jahr 2075 die sechsjährige Sarat Chestnut mit ihren Eltern, ihrer Zwillingsschwester Dana und ihrem älteren Bruder Simon in einem Wellblechcontainer am "Mississippimeer". Ihre relativ unbeschwerte Kindheit mit Sommern von März bis Dezember endet jäh, als Sarats Vater Benjamin bei einem Selbstmordattentat zu Tode kommt. Er hatte vergeblich von einem besseren Leben im Norden geträumt. Jetzt bleibt der restlichen Familie nur der bittere Weg in ein Flüchtlingslager direkt an der Grenze zu den Nordstaaten.
Dystopie schlug hohe Wellen
Für Sarat beginnt mit einem Massaker in der Notunterkunft ein Alptraum, aus dem sie erst wieder als fast erwachsene, zu allem bereite Kämpferin und Partisanin erwacht. Es gibt "nirgends einen so tüchtigen Soldaten, so kalt und furchtlos, wie ein Kind, das schon in jungen Jahren gebrochen wird", heißt es an einer Stelle über Sarat.
Das ist schon harter Stoff: In den zutiefst verunsicherten USA schlug Omar El Akkads schonungslose Dystopie in diesem Frühling wie eine Bombe ein. Der Tenor etlicher Kritiken ging dahin, dass viele Aspekte des Buches uns sehr bekannt vorkommen müssen. Die Blindheit und Ignoranz gegenüber dem Klimawandel oder die tiefe Gespaltenheit der USA. Weltweite Flüchtlingsbewegungen, Gefangenenlager wie Guantanamo, Selbstmordattentate, Kindersoldaten oder der Drohnenkrieg sind längst trauriger, nicht weiter hinterfragter Bestandteil unserer Gegenwart.
Eine Nation der unversöhnlichen Ideologien
So wurde der Roman auch weniger als ferne Science-Fiction rezipiert als vielmehr als Fortschreibung und Zuspitzung der Probleme, mit denen die strauchelnde Supermacht USA sehr bald heillos überfordert sein wird. "In diesem Roman tobt der Konflikt, über den viele von uns in der Trump-Ära besorgt sind: Eine Nation zerrissen von unversöhnlichen Ideologien, entfremdet von festverwurzelten Ressentiments", schrieb die "Washington Post".
Aber zum Glück hat Omar El Akkad, der als Journalist viele Krisengebiete dieser Welt bereist hat, kein trockenes Pamphlet verfasst, sondern er erzählt durchaus bildmächtig und sehr packend eine aufwühlende, mitunter albtraumhafte Familiengeschichte, die den Leser so schnell nicht wieder los lässt.
Es gibt keine Erlösung
Als Kind unterscheidet sich Sarat nicht groß von anderen Teenagern, mit ihrer Zwillingsschwester Dana spielt sie am liebsten draußen am heillos verdreckten Fluss. Aber sie hat keine Chance, ihr Vater und ihre Mutter werden Opfer sinnloser Gewaltausbrüche. Und Sarat gerät in die Obhut eines ominösen Provokateurs, der aus dem traumatisierten Teenager eine perfekte Mordwaffe macht.
Die Hoffnung auf ein anderes, humanes Leben existiert in diesem düsteren Roman nur noch als ferne Erinnerung. In all den Jahren der Vertreibungen und Verwüstungen behütet Sarat eine alte Keramikfigur der Jungfrau von Guadalupe wie einen Schatz - als wäre darin das Geheimnis ihres Lebens verborgen. Aber es gibt keine Erlösung in diesem beunruhigenden Zukunfts-Roman, in dem das Elend der Gegenwart auf jeder Seite aufblitzt.
Johannes von der Gathen/dpa