Jahrzehntelang lagerte die Korrespondenz von Stefan Zweig mit dem aufstrebenden jüdischen Autor Hans Rosenkranz in einem Banksafe. Jetzt hat Israels Nationalbibliothek die 26 handschriftlichen Briefe und sechs Postkarten erstmals veröffentlicht. Sie wirft nach Angaben der Einrichtung ein neues Licht auf Zweigs (1881-1942) Ansichten zu Literatur, Judentum, Zionismus und dem Aufstieg der Nazis.
Gestiftet hat die Korrespondenz Rosenkranz' 92-jährige Stieftochter, Hanna Jacobsohn. Wie kam es zu der späten Schenkung und warum hat die alte Dame, die allein mit zwei Katzen in einer Wohnung südlich von Tel Aviv lebt, so lange damit gewartet? "Ich habe mein Vermächtnis geschrieben und bestimmt, dass die Briefe nach meinem Tod an die Nationalbibliothek gehen sollen", erzählt Jacobsohn der Deutschen Presse-Agentur. "Meine Rechtsanwältin fragte: 'Warum erst nach dem Tod? Warum nicht jetzt?' Und sie hatte eigentlich Recht, dachte ich mir."
Jacobsohn nahm deshalb Kontakt mit dem deutschen Archivar Stefan Litt auf, der in der Jerusalemer Bibliothek für Zweig-Dokumente zuständig ist. Dieser reagierte hocherfreut: "Natürlich hatten wir großes Interesse", sagt Litt.
Rosenkranz bat ihn um Rat
Der in Königsberg geborene Hans Rosenkranz war erst 16 Jahre alt, als er dem erfolgreichen jüdisch-österreichischen Autor Zweig zum ersten Mal schrieb. Er bat ihn um Rat, wie er auch Schriftsteller werden könnte - und bekam ihn auch. Bis kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 blieben Rosenkranz und Zweig in Kontakt. Die beiden trafen sich auch einige Male, und Zweig verwies mehrere Autoren an Rosenkranz, nachdem dieser einen Verlag eröffnet hatte.
Doch trotz der guten Ratschläge und sogar finanzieller Unterstützung Zweigs schaffte es Rosenkranz nicht, seine literarischen Ambitionen umzusetzen. Anfang der 1930er Jahre heiratete er Lily Hyman, die aus einer ersten Ehe bereits eine kleine Tochter hatte - Hanna. "Nach der Machtergreifung Hitlers sagte mir mein Stiefvater: 'Für die Juden ist das Leben in Deutschland vorbei'", erzählt Hanna. "Am 23. Dezember 1933 kamen wir in Palästina an, einen Tag vor Weihnachten."
Als die Nationalsozialisten seine Bücher verboten, ging auch Zweig ins Exil - erst nach London, dann nach Brasilien. Das Gefühl der Fremde, des Verlusts von Heimat und Sprache machten ihn jedoch zunehmend depressiv. 1942 nahm er sich gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lotte das Leben. Seine Geschichte erzählt Regisseurin Maria Schrader in dem Film "Vor der Morgenröte" (2016), der für Österreich ins Rennen um den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film geht.
Zweigs Freund Rosenkranz kämpfte während des Zweiten Weltkriegs in der britischen Armee in Italien. Nach dem Krieg trennte er sich von Hyman, änderte seinen Namen in Chai Ataron und arbeitete als Journalist. Doch auch er wurde nicht glücklich in seiner neuen Heimat: 1956 beging Rosenkranz Selbstmord - 14 Jahre nach Zweig.
"Ich habe Hans Rosenkranz sehr geliebt", erzählt die 1926 in Berlin geborene Jacobsohn. "Als meine Mutter und er sich trennten, blieben die Briefe bei ihr. Nach ihrem Tod gingen sie an mich." Jacobsohn war 25 Jahre Offizierin bei der israelischen Polizei, später Dozentin für jüdische Geschichte. "Ich habe nie daran gedacht, die Briefe zu verkaufen", sagt sie.
Zweig gab dem jüngeren Autor in den Briefen Lebensratschläge und warnte schon früh vor dem erstarkenden Antisemitismus: "Wenn ich etwas Ihnen wünschen darf so wäre es, ein Stück Ihrer Jugend ausserhalb Deutschlands zu verleben, in einem Lande, wo man das jüdische Problem nicht so ständig auf den Nägeln brennen hat wie bei uns", schrieb Zweig 1921. "Ich habe Jahre im Ausland gelebt, wo niemand nach der Rasse fragte - als ich zurückkam, war das Problem plötzlich vor mir da und forderte mich ganz."
Er riet Rosenkranz, seine jungen Jahre zu nutzen: "Lernen Sie jetzt nur Sprachen! Das ist der Schlüssel zur Freiheit: wer weiss, vielleicht wird Deutschland und Europa so dumpf, dass der freie Geist darin nicht wird atmen können. Denken Sie an die Welt, wie weit sie ist!"
Litt findet es "bemerkenswert, dass Zweig die gefährlichen Entwicklungen in Deutschland schon so früh erkannt hat". Das Judentum entfalte kulturell eine "produktive Kraft, eine Blüte wie seit Jahrhunderten nicht", schrieb Zweig etwa zwölf Jahre vor der Machtübernahme der Nazis. "Mag sein, es ist das Aufschiessen der Flamme vor dem Untergang, mag sein, es ist nur ein Flackern im Stürzen vom Welthass - immerhin, das Judentum hat jetzt eine lebendige Stunde mit allen ihren Gefahren."