Wo liegt für Sie das Paradies?
LYDIA MISCHKULNIG: In der Brieftasche. Die Moneten entscheiden, ob man Angst haben muss vor dem Statusverlust. Wer Kohle hat, kann auf die Suche nach dem Paradies gehen, wenn er vertrieben worden ist.
Das Gebiet lag in Syrien, es wird gerade von Paradiesversprechern mit Gewalt, Terror und Extremismus zerstört. Einst war das Paradies eine immergrüne Weide. Vorratswirtschaft war unnötig. Man hatte keine Plage mit der Trockenheit, noch keine Klimakatastrophe. Heute ist die Gegend verwüstet und die Bomben werden nicht weniger. Aus dem Ex-Paradies hört man die Schreie tönen, und das Quietschen von Metall, den Knall der Detonation und das Knirschen und Krachen von Beton. Eine Maschinerie aus Interessen und Strukturen arbeitet dran, das Paradies aufzubauen, irgendeine Friedensinszenierung ist angedacht. Im heutigen Europa könnten wir eine Konvention des zwanglosen Miteinanders entwickeln. Wäre das eine Paradiesvorstellung?
Eine Wochenendgesellschaft, wo die Ich-Erzählerin als „Negerin“ beschimpft wird (oder auch nicht), der Besuch bei einer Kosmetikerin, die Handschrift des größten Liebhabers aller Zeiten: Sie fächern viele Facetten des Mensch-Seins auf. Worum geht es Ihnen beim Schreiben besonders? Woran entzündet sich Ihre Phantasie?
MISCHKULNIG: Das Besondere ist die Unordnung schaffende Ordnung anzuschauen- also die Gefühlshaushalte bei Leuten, die alle Tassen im Schrank haben. Ich versuche das Chaos in Form von Geschichten in den Griff zu kriegen. Meine Phantasie entzündet sich gar nicht, ich habe eher den Eindruck ich entzünde eine gewisse Gemengelage durch Fiktion. Setze Gedanken in den Kopf der Leser, verändere vielleicht die Wahrnehmung, vielleicht auch nur meine. Eigentlich schaffe ich Wirklichkeit, da meine Geschichten tatsächlich existieren. Wenn sie scheinbare Gewissheiten durcheinander bringen, entsprechen sie dem physikalischen Prinzip, nach dem immer eine Umordnung entsteht.
Sie schreiben Romane ebenso wie Erzählungen. Gibt es eine Form, die Sie bevorzugen?
MISCHKULNIG: Beide Formen sind fordernd. Das Meer ist ein Roman, der See eine Erzählung, der Teich ein Gedicht. Zugrunde liegt die Tiefe und dorthin zieht es den Gedanken und er sinkt hin, während man an der Oberfläche seine Kreise sehen kann. Bach und Flussläufte verbinden diese stillen Gewässer. Ich kann gar nicht sagen, ob ich eine Erzählung oder einen Roman lieber schöpfe.
In einer Geschichte schreibt eine Doris ein Drehbuch, erst mit Computer, dann mit der Füllfeder. Womit schreiben Sie?
MISCHKULNIG: Vom Kopf in die Hand und mit Stift und Tasten, immer ist es am Anfang ein Tasten, egal ob ich mit Tastatur tippe oder mit einem Bleistift kritzle. Und dann stehen einmal die Buchstaben da, Zeichen, die nach einer Ordnung schreien, also in eine Form zu bringen sind. Satzweise übertrage ich die Skizzen in eine Geschichte, die ausgedruckt werden kann. Wenn ich sie lese und sie macht mich lebendig fühlen, dann habe ich sie mit allen mir möglichen Mitteln geschrieben.
Ihre Erzählungen spielen neben Wien, Venedig oder Nagoya auch in Kärnten.
Ich suche Orte auf, die Fiktion zulassen, es sind Bühnen mit Versatzstücken aus den Gegenden und Räumen, die mir in meinem Leben untergekommen sind. Kärnten zählt dazu, es ist überall und mischt sich immer ein. Ich schreibe über etwas, was an anderem Ort mir vertraut oder fremd erscheint. Ob in Kärnten oder in Koyasan ist dabei unwichtig.
Wie viel Kärnten steckt noch in Ihnen drinnen?
MISCHKULNIG: Ein Sehnsuchtsort scheint sich aus meinen Erinnerungen zu speisen, und hat sich in mir eingenistet, ohne dass ich es merkte. Das muss hier geschehen sein und geht nicht weg.
Wie sehr hat das Aufwachsen in Kärnten Ihr Schreiben geprägt?
MISCHKULNIG: Ohne Kärnten wäre die Verstrickung nicht mein Thema geworden. Mit Verstrickung meine ich das Zusammenleben-Müssen der Menschen und im Besonderen den Sprachrassismus. Dieser hat mich massiv beschäftigt. Faschismus und Mitläufertum drückten sich in der Diskriminierung der Slowenen aus. Ich war fasziniert, dass meine Eltern Slowenisch unterrichteten, aber mit uns, meiner Schwester und mir nicht praktizierten, weil es zu mühsam war. Wir wohnten im deutschsprachigen Gebiet. Es faszinierte mich auch, dass ich in einer deutschsprachigen Schule war und aufgrund meines Namens und der Herkunftsorte meiner Großeltern, die praktisch nur slowenisch sprachen, mich augenblicklich isoliert fühlte, als eine aus Wien kommende junge Deutschprofessorin an mir exemplifizierte, dass ich slawisch sei im Gegensatz zu den deutschnamigen Freundinnen. Ich kannte doch genügend Slowenen, die deutsche Namen hatten. Es war alles sehr verwirrend und grausam während der Hetze im Ortstafelstreit in Völkermarkt, wo ich oft bei Familienfreunden zu Besuch gewesen war. Diese Freunde nannten wir Tante und Onkel und titulierten deren Kinder als Cousinen. So lernte ich, dass Verwandtschaft beliebig ist und geriet in Loyalitätskonflikt mit meiner wirklichen Cousine, die slowenisch sehr gut verstand, weil sie mit unserer Großmutter unter einem Haus lebte. Ich war über mein Gefühlschaos derartig irritiert, bis ich den Unsinn einer Ursprungsklärung erkannte. Seither bringen mich Identitätsfragen nur mehr zum Lachen. Außerdem konnte ich in der Schule Sexismus studieren und subtile Formen der Verharmlosung, als der Chemieprofessor meiner Verwandten im ehemaligen Perau Gymnasium „Witze in Bezug auf Zyklon-B“ riss. Als ich darüber schrieb, in einem Aufsatz zu Jean Amèry’s Werk, gab sich dieser Mann zu erkennen und klagte das publizierende Medium wegen übler Nachrede. Er drohte als Wiederbetätiger aufgefallen zu sein und das wollte er weghaben. Nach vier Verhandlungen und etlichen Zeugenaussagen zog er seine Klage zurück und bezahlte die Gerichts- und Anwaltskosten noch vor einem Urteil. Er hatte seine Gründe. Es zeigte mir, dass ich als Schülerin richtig damit gelegen war, mich selbst zu bestimmen und mir keine Verharmlosungen und Ungerechtigkeiten einreden zu lassen.
Eine Erzählung handelt von einem Fischer aus Annabichl, der mit Undine nach Udine durchbrennen will (um es salopp zu formulieren). Man denkt natürlich sofort an Ingeborg Bachmann. Hat sie Ihr Schreiben in irgendeiner Weise geprägt?
MISCHKULNIG: Wen hat Bachmann nicht beeindruckt? Im Verhältnis der Geschlechter zueinander , der Brutalität und Diskriminierung, sah sie die Wurzel des Übels, das Desiderat des Faschismus.
Wie lange haben Sie an dem Erzählband gearbeitet?
MISCHKULNIG: Das Buch entstand in einer langen Erarbeitungsphase, bis die Ähnlichkeiten der Geschichten hervortraten und eine Komposition ergaben.
Nach dem neuen Buch ist vor dem neuen Buch: Arbeiten Sie bereits wieder an einem Roman/einem Erzählband?
MISCHKULNIG: Ein Roman ist im Entstehen und es beginnt von neuem die Frage, wie viel Herkunft ist in wie viel Hinkunft drin? Wie viel vom „Wie viel“ im „Wie viel“ steckt, will ich mal messen können. So viel zum Thema einer neuen Suche nach einer Sprache mit Eigensinn.