Auf Interviewanfragen antwortet Elfriede Jelinek, prompt und freundlich, mit einem klaren Nein. Längst kommuniziert die österreichische Nobelpreisträgerin ausschließlich durch ihre Literatur mit der Öffentlichkeit. Dabei war die Autorin und Dramatikerin, die am 20. Oktober 70 Jahre alt wird, durchaus ihrer Zeit voraus: Ihr bevorzugtes Publikationsorgan ist schon seit 20 Jahren ihre Homepage.

Hier nimmt sie regelmäßig Stellung zu den Themen der Zeit, schreibt derzeit etwa gegen die Gefangenschaft der türkischen Autorin Asli Erdogan an, hat hier in mehreren Portionen die "Schutzbefohlenen" veröffentlicht, jenen an deutschsprachigen Theatern derzeit auf und ab gespielten Text zur Situation von Asylsuchenden, dessen Aufführungen schon zweimal von "Identitären" gestört wurden. Dazu postet sie Fotos, bietet ihre Bücher in eigenen Versionen für Smartphones und Tablets an. Auch ihren Text "Wut" über islamistischen Terror und wachsenden Hass, der heuer in München uraufgeführt wurde, konnte man hier zuerst lesen.

Nicht zuletzt die Aktualität ihrer Themen macht Jelinek, die in Mülheim schon viermal zur "Dramatikerin des Jahres" gewählt wurde, zu den meistgespielten deutschsprachigen Autoren. Ihre neuen Stücke machen an den großen Sprechbühnen rasch die Runde, aber auch "Klassiker" ihres Schaffens werden regelmäßig wieder auf die Spielpläne gesetzt. Dem Theater ist sie eigentlich in Hassliebe verbunden und mit Textflächen ohne Rolleneinteilung gibt sie der Regie gänzlich freie Hand. Die außerordentliche Produktivität ihres alle literarische Gattungen umfassenden Schreibens kommentierte sie in einem APA-Interview einmal mit: "Es ist kein Wollen, sondern ein Müssen; ich bin eine Triebtäterin." Auch die Liste ihrer Auszeichnungen ist lang und reicht von Büchner- und Lessing-Preis bis zum 2004 zuerkannten Literaturnobelpreis.

Ihre Mutter wollte ein Wunderkind

Elfriede Jelinek wurde - wiewohl Tochter eines in Wien lebenden Ehepaares - am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag in der Steiermark geboren. Ihre "ungemein leistungsbezogene" Mutter habe sie zum Wunderkind "dressieren" wollen, erklärte Jelinek einmal. Mit sechs Jahren begann sie ihren Klavierunterricht und übte schon bald an einem eigens angeschafften Steinway-Flügel. Mit 13 wurde sie jüngste Schülerin in der Musikhochschule und begann ein Orgelstudium. Später lernte sie auch Bratsche und Gitarre, mit 16 auch noch Komposition.

Nach der Matura, die sie an einer Klosterschule ablegte, studierte sie am Wiener Konservatorium Klavier und Komposition, belegte daneben aber auch Sprachen, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Aus der für sie von der dominanten Mutter Ilona Jelinek, die bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 großen Einfluss auf das Leben ihrer Tochter hatte und wohl in "Die Klavierspielerin" verewigt wurde, geplanten Musikerinnen-Karriere wurde dennoch nichts, Elfriede Jelinek wurde Autorin. Noch als Studentin veröffentlichte sie 1967 ihren ersten Gedichtband "Lisas Schatten".

Jelinek 2004 bei sich zuhause in Wien-Hütteldorf im 14. Bezirk
Jelinek 2004 bei sich zuhause in Wien-Hütteldorf im 14. Bezirk © AP

Sowohl ihr Romandebüt "wir sind Lockvögel, baby" (1970) als auch die Romane "Die Ausgesperrten" (1980) und "Die Klavierspielerin" (1983) begeisterten die Kritiker, stießen jedoch in gleichem Maße auf heftigen Widerstand. In ihrer literarischen Arbeit übt Jelinek immer wieder scharfe Kritik an der Männer- und Klassengesellschaft und setzt sich kritisch mit den Themen Sexualität, Gewalt und Macht auseinander. Aufsehen, Neugier und Widerspruch erregte besonders der Roman "Lust" (1989). Als ihr "opus magnum" bezeichnet sie selbst "Die Kinder der Toten" (1995). Im Jahr 2000 erschien "Gier", ein vieldeutiger Kriminalroman aus der österreichischen Provinz. Ihren bisher letzten Roman "Neid" (2008) veröffentlichte sie - dank der hohen Nobelpreisdotierung auf normale Buchverkäufe nicht mehr angewiesen - nur im Internet.

"Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft" war 1979 das erste Theaterstück Elfriede Jelineks. Es folgten "Clara S." (1982), "Burgtheater" (1985), "Krankheit oder Moderne Frauen" (1987) und "Wolken. Heim" (1988), eine Montage aus Texten von Hölderlin, Kleist, Fichte, Hegel, Heidegger und Auszügen aus Briefen der RAF-Häftlinge. Um Fremdenfeindlichkeit, Heimat und Intoleranz gegenüber anderen ging es auch in ihrem szenischen Essay "Totenauberg" (1992), der ebenso wie "Raststätte oder Sie machen's alle" (1994), "Stecken, Stab und Stangl" (1996) und "Ein Sportstück" (1998) am Burgtheater uraufgeführt wurde.

Zunehmend wurde Elfriede Jelinek mit ihrer Verweigerung von klassischer Dramaturgie und der Entwicklung von monologartigen Textflächen zur Herausforderung der Theater, die Regisseure mit immer größerer Begeisterung annahmen. Zu Jelineks wichtigsten Regisseuren wurden Christoph Schlingensief ("Bambiland"), Jossi Wieler ("Macht nichts", "Rechnitz (Der Würgeengel)") und vor allem Nicolas Stemann ("Das Werk", "Babel", "Ulrike Maria Stuart", "Die Kontrakte des Kaufmanns", "Wut" u.a.). Im Jänner 2017 wird Elfriede Jelineks neuestes Stück "Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)" am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt. Jan Philipp Gloger führt Regie.

Ihr Bestseller "Lust" (1989), die Uraufführungen ihrer Porno-Satire "Raststätte oder Sie machen's alle" durch Claus Peymann (1994) und von "Ein Sportstück" durch Einar Schleef (1998) sowie die Verfilmung ihres 1983 erschienenen Romans "Die Klavierspielerin" durch Michael Haneke fanden weit über die Grenzen des Literatur- und Theaterbetriebs Beachtung. Zeitungen (wie die "Kronen Zeitung") und politische Gegner (die FPÖ plakatierte 1995 sogar den Slogan "Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk... oder Kunst und Kultur?") griffen Elfriede Jelinek immer wieder an. Neben ihrer psychischen Erkrankung war das mit ein Grund dafür, dass sich Jelinek schließlich aus dem öffentlichen Diskurs nahm und sich seither "Im Abseits" (wie sie ihre Nobelpreisrede nannte) deutlich wohler fühlt. Der Nobelpreis habe sie "vollkommen und endgültig von der menschlichen Gesellschaft abgeschlossen", sagte sie ein Jahr danach. "Ich finde das aber nicht so schlecht. Jetzt fühle ich mich frei."

Übrigens: Elfriede Jelineks "Die Kinder der Toten" wird beim  "steirischen herbst" 2017 als filmisch-performative Inszenierung zu erleben sein. Die Literaturnobelpreisträgerin hat ihren Roman für eine Umsetzung durch das amerikanische Performance-Kollektiv Nature Theatre of Oklahoma freigegeben. Details hier.