Die kanadische Krimi-Autorin Joy Fielding zieht in ihrem neuen Roman "Die Schwester" Parallelen zum Fall der kleinen Maddie McCann aus England. Die 71-Jährige erzählt die Geschichte eines Ehepaares, dessen Tochter im Urlaub aus einem Hotelzimmer verschwindet. 15 Jahre später meldet sich telefonisch eine junge Frau, die behauptet, die vermisste Tochter zu sein.
Die Handlung Ihres neuen Buches erinnert sehr an den Fall Maddie McCann. Ist das richtig?
Fielding: Ja, die Hauptinspiration habe ich aus diesem Fall gezogen. Das ist ganz offensichtlich. Ich hatte es in den vergangenen zehn Jahren im Hinterkopf und dachte mir, es wäre interessant zu versuchen herauszufinden, was passiert ist. Aber der echte Fall hat nur den Anstoß für meine Geschichte gegeben. Die Idee, wie ein Kind entführt wird, während die Eltern beim Essen sitzen. Damit endet schon die Realität. Ich habe die Geschichte dann 15 Jahre vorgedreht. So entstehen zwei Rätsel: Ist die Frau, die behauptet die Tochter zu sein, wirklich die Tochter? Und: Was ist 15 Jahre zuvor passiert?
Haben Sie für das Buch den echten Fall recherchiert?
Fielding: Nicht wirklich. Nur das, was ich wusste und was ich eben im Laufe der Jahre in Zeitungen gelesen habe. Der Rest ist rein mein Gefühl, was so etwas mit der Familie macht, was es mit dem zweiten Kind macht, das zurückgelassen wurde. Was hat es für Auswirkungen auf die Mutter sowie auch welche falschen Schlüsse die Presse gezogen hat.
Könnte der Fall in Wirklichkeit so weitergegangen sein, wie in Ihrem Buch?
Fielding: Das ist reine Fiktion. Ich weiß auch nicht, was mit Maddie passiert ist. Wahrscheinlich hat sie jemand entführt. Man kann nur hoffen, dass jemand ihr ein gutes Zuhause gegeben hat. Aber das ist eher unwahrscheinlich.
Haben Sie eine Reaktion der Familie bekommen?
Fielding: Nein. Vermutlich wissen sie gar nicht von dem Buch und ich bin sicher, wenn sie es wüssten, wäre es das letzte, was sie lesen wollen.
Warum, denken Sie, lesen die Menschen so gerne Krimis? Ist das tägliche Leben nicht schon Thriller genug? Man muss sich nur die Nachrichten ansehen...
Fielding: Ich denke, das echte Leben ist sogar erschreckender. Wenn wir Krimis lesen, können wir die Probleme anderer genießen, ohne uns bedroht zu fühlen, wohlwissend, dass wir sicher sind. Man weiß, dass die Geschichte nicht echt ist. Bücher, die auf einem wahren Fall basieren, finde ich deshalb Furcht einflößender. Ein guter Krimi lässt einen die Spannung spüren, ohne dass man um die eigene Sicherheit fürchtet. Die Zeitungsnachrichten zu lesen ist schon deprimierender.
Ihre Bücher werden hauptsächlich von Frauen gelesen, warum?
Fielding: Generell werden Romane vor allem von Frauen gelesen. Aber ich habe auch männliche Leser. Natürlich sind meine Bücher aus Sicht einer Frau geschrieben und Männer verschließen sich meist vor Büchern, die von Frauen geschrieben sind.
Warum ist das so?
Fielding: Weil sie denken, da geht es nicht um Dinge, die sie ansprechen. Da liegen sie falsch. Männer sind, glaube ich, einfach nicht sehr daran interessiert, was Frauen zu sagen haben. Sie sind auch nicht so neugierig. Sie interessieren sich mehr für Sport und ihre Geschäfte, aber nicht so sehr dafür, was Frauen denken. Sie sind eher daran interessiert, wie Frauen aussehen - und wie sie sie ins Bett bekommen.
Sie schreiben viel, sind häufig auf Lesereise - haben Sie selbst überhaupt Zeit zu lesen?
Fielding: Ich habe schon Zeit zu lesen, aber mir fehlt die Konzentration. Wenn ich an einem Buch schreibe, und ich schreibe die meiste Zeit, dann ist es sehr schwierig, sich auf eine andere Geschichte zu konzentrieren. Ich schaue dann lieber fern, lese ein Magazin oder Sachbücher. Wenn ich mich entspannen will, dann löse ich ein Sudoku.
Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Fielding: Auf Inspiration kann man nicht warten. Man muss sich einfach hinsetzen und arbeiten. Das ist der Job - ein toller Job, sehr kreativ, er bringt Freiheit und Vorteile mit sich. Aber es ist Arbeit. Ich kann nicht sagen, woher ich die Ideen bekome. Ich habe die Fähigkeit, von überall her Ideen zu ziehen: Aus der Zeitung, etwas das ich höre, etwas das mir, meinen Töchtern, meinen Freunden passiert ist.
Wenn Sie mit dem Schreiben beginnen, wissen Sie dann schon, wie das Buch ausgeht?
Fielding: Ja, das weiß ich. Wenn ich erst einmal die Idee habe, mache ich mir Notizen und lasse die Idee einige Zeit sacken. Dann versuche ich, die Geschichte in 25 Wörtern zu erzählen. Das ist wichtig. Wenn Sie jemandem nicht in wenigen Sätzen sagen können, worum es in Ihrem Buch geht, wissen Sie es selbst nicht.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Fielding: Ich arbeite meist drei Stunden am Tag. Mal mehr, mal weniger. Ich würde gerne fünf Seiten pro Tag am Computer schaffen, aber ich bin irgendwie langsamer. Wenn ich drei Seiten schaffe, bin ich schon froh.
Schreiben Sie bereits an Ihrem nächsten Buch?
Fielding: Ich habe das nächste Buch sogar schon fertig und muss nur noch die Feinarbeiten machen. Es soll im Frühjahr erscheinen.
Ute Wessels