In ihrem dritten Roman schreibt die Wienerin Ljuba Arnautović die Geschichte ihrer Familie fort. Als fiktive Generationenromane, die auf realen Geschehnissen fußen, waren schon die Bücher „Im Verborgenen“ (2018) und „Junischnee“ (2021) angelegt. In „Erste Töchter“ geht es nun neben dem Vater der Autorin, der von seiner Mutter 1934 nach Russland geschickt wurde, um ihn und seinen Bruder vor den Nazis zu schützen, um seine beiden erstgeborenen Mädchen.
Nach Stationen als „Volksfeind“ in russischen Arbeitslagern kehrte Karl Jahrzehnte später zurück – mit seiner russischen Frau Nina und den Töchtern Luna und Lara. Hier setzt nun das Buch ein und schildert, wie er, vorerst in seiner alten Heimat, durch insgesamt vier Ehen und einen erschwindelten Adelstitel seinen gesellschaftlichen Aufstieg erreichen will. Die ersten Töchter interessieren diesen rücksichtslosen und egomanischen Hochstapler-Vater dabei wenig, weitere Kinder folgen später in seiner dritten Ehe: „Wenn Karl betrunken ist, prahlt er: ,Ich habe eine 25-Jährige geheiratet, und als sie 35 war, hab ich mir wieder eine 25-Jährige genommen, und als die 35 war, hab ich mir wieder eine 25-Jährige genommen.´Zu seinem Status die passende Ehe. Zu seinen Ehen der passende Status.“
Luna und Lara kommen aus den armseligen russischen Verhältnissen in den Karl-Marx-Hof im Nachkriegs-Wien, werden durch die wechselnden Frauenbeziehungen des Vaters getrennt, wachsen an unterschiedlichen Orten auf und finden schließlich wieder zueinander. All das erzählt Arnautović, wie distanziert beobachtend und in nüchterner Sprache, verdichtet und konzentriert in diesem schmalen Band. Es sind 160 Seiten, die eine unglaubliche Fülle an Schicksalen versammeln, das erschütternde Mosaik einer entwurzelten Familie bilden und eine lesenswerte Generationen-Trilogie vervollständigen, die europäische Zeitgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts anschaulich macht.