„Who is Franz Kafka?“, fragt das kleine Mädchen und deutet auf eine Inschrift im Goldenen Gässchen von Prag, auf dem steht, dass der Schriftsteller hier einmal ein Schreibdomizil hatte. Wer ist Franz Kafka? Die Antwort des Vaters: „Ein berühmter Schriftsteller. Wenn du einmal groß bist, wirst du ihn lesen.“

Das ist zu hoffen. Denn in den letzten Wochen und Monaten, anlässlich des 100. Todestages von Kafka, wurde über den noch immer geheimnisumwitterten Solitär aus Prag ausgiebig geschrieben, doziert, gemutmaßt und geschwärmt. Und auch die Anzahl der tatsächlichen oder vermeintlichen Kafkologen hat rasant zugenommen. Das ist manchmal lächerlich, aber im Grunde schon in Ordnung. Es werden so viele Blödheiten und Nebensächlichkeiten hochgejazzt, dass es nur würdig und recht ist, wenn die Literatur bzw. ein Literaturschaffender einmal im Mittelpunkt steht. Aber zu hoffen ist eben, dass nicht nur über Kafka gesprochen wird, sondern dass auf das Wesentliche nicht vergessen wird: auf sein Werk.

Und Kafkas Bücher – seien es die Romane oder Erzählungen – haben uns noch immer viel zu sagen, auch wenn sich das Gesagte bzw. Geschriebene der Eindeutigkeit entzieht. Aber vielleicht ist gerade das so immerwährend faszinierend an diesem Autor: In einer Zeit, in der hysterisch schnelle Antworten und Lösungen eingefordert werden und jeder zu allem sofort eine Meinung hat, übt das Schwebende, das Unvollständige, das Rätselhafte eine besondere Anziehungskraft aus.

Außerdem ist Kafka aktueller denn je. Er steht nicht nur für das Unheimliche, Unfassbare, Unzulängliche; er hat auch intensiv wie kaum ein anderer das Verschwinden der stabilen Weltbilder, die Ohnmacht des Einzelnen und die Allmacht des (totalitären) Kollektivs festgeschrieben.

Who is Kafka? Wer ist also Kafka? Ein Autor, den man nach den Feierlichkeiten wieder durch die Lektüre seiner Bücher würdigen sollte. Das unterschreiben wohl auch die unzähligen Kafkologen.