Sie sind einer der großen Interpreten des Werkes von Ludwig van Beethoven, schrieben auch das Buch „Leben mit dem Meister“. Wie lebt es sich mit Beethoven?
Rudolf Buchbinder: Mein Repertoire reicht von Bach bis zu zeitgenössischen Komponisten. Das Gershwin-Konzert ist eines meiner meistgespielten Werke. Aber Beethoven ist ein zentraler Punkt in meinem künstlerischen Leben, in meinem Leben überhaupt, er verfolgt mich seit meiner Kindheit.
Was macht Beethoven für Sie so außergewöhnlich?
Buchbinder: Er war als Komponist sicher der größte Revolutionär der Musikgeschichte. Was mich besonders fasziniert sind seine 32 Klaviersonaten, die ihn sein Leben lang begleiteten. Von Opus 2 bis Opus 111. Die geben die ganze Bandbreite seines Daseins wieder, seine Gefühle, seine Lieben, seine unglückliche Zeit. Die Klaviersonaten sind die beste Visitenkarte Beethovens.
Gibt es eine, die Sie besonders bevorzugen? Die Appassionata, Pathétique oder die Mondscheinsonate?
Buchbinder: Nein, nein. Hätte ich eine Lieblingssonate, dann würde ich ja die anderen ja nicht spielen. Beethoven hat sich immer geärgert, dass man immer nur den ersten Satz der Mondscheinsonate gespielt hat. Er sagte, er habe doch viel besseres komponiert. Für ihn selbst, wie auch für den Musikkritiker Joachim Kaiser, war die Appassionata, Opus 57, die größte Sonate. Ich dürfte diese auch am häufigsten gespielt haben, so zwischen 400 und 500 Mal.
Als Beethoven Wien für drei Monate besuchte, lebte Wolfgang Amadeus Mozart noch. Ob es zu einem Treffen kam, ist unbekannt. Ein Jahr, bevor sich der Bonner in Wien niederließ, starb Mozart. Sehen Sie eine Verbindung zwischen den Werken dieser beiden?
Buchbinder: Es sind zwei so konträre Komponisten. Die Familie Beethovens gehörte immer schon zu den großen Verehrern Mozarts. Und als Beethoven das zweite Mal nach Wien reisen sollte, empfahl Graf Waldstein: „Empfange Mozarts Geist aus Haydens Händen.“ Mozart war so populär, er war der Gott der Musik in Wien. Beethoven hat darunter gelitten, es dauerte lange, bis auch er diese Popularität erlangte. Beethoven hat mit Mozart nichts zu tun. Nikolaus Harnoncourt ist vor Wut zersprungen, wenn jemand behauptete, Beethovens erstes Klavierkonzert sei von Mozart beeinflusst. Das hat nichts mit Mozart zu tun, das ist Beethoven pur.
Mozart wurde vom Kitsch vereinnahmt, das süße Wolferl und die nicht minder süßen Mozartkugeln. Beethoven blieb die Verkitschung eher erspart.
Buchbinder: Nicht ganz. Ich habe einen Eierwecker, da ist der Beethoven drauf. Doch ich finde alles in Ordnung, was zur Popularität diese großen Leute beiträgt. Ein Mozart, ein Beethoven, ein Schubert – die überleben das, es zeigt ihre Größe.
Was hält denn Beethoven bis heute so frisch?
Buchbinder: Er wird immer modern bleiben. Mit seinen letzten Streichquartetten, vertrieb er das eigene Publikum. Diese Werke sind schwere Kost geblieben. Die Diabelli-Variationen hat er nie gehört, sie wurden erst 30 Jahre nach ihrem Entstehen uraufgeführt. Beethoven ist mit seinen Werken so etwas wie ein Popstar geblieben.
Was würden Sie Beethoven-Einsteigern empfehlen?
Buchbinder: Meinen Schülern rate ich immer: Bevor man das erste Stück von ihm spielt, ein Buch über den Komponisten lesen! Bei Beethoven genügt sein Heiligenstädter Testament. Mein ersten Stück von ihm, das ich spielte, war die Klaviersonate Nummer 1. Ein fantastisches Stück zum Einsteigen, auch für Laien zum Anhören.
Das Beethoven-Jahr wurde durch Corona zusammengestrichen. Man hat davon nicht großes Aufheben gemacht. Haben wir verlernt, eine Kulturnation zu sein?
Buchbinder: Die Politiker haben das verlernt. Kultur kommt im Wortschatz offizieller Pressekonferenzen nicht vor, sie wird wie das Allerletzte behandelt. Wir haben so ein großes Kapital an Kultur, um das uns alle beneiden. Usbekistan, Kasachstan und wie die alle heißen, haben ein eigens Kulturministerium. Österreich nicht.