Wenn nur das Wort Beethoven und damit noch nicht einmal die Musik selbst gemeint ist, wiederholt sich wie in Dauerschleife ein Wort: Genie. Somit ist die Marschrichtung schon vorgegeben, die man bitte tunlichst nicht verlassen sollte. Das macht es ungleich schwieriger, sich sein eigenes Bild von Beethoven zu machen. Oder aber, man lässt sich von der Ausstellung "Beethoven bewegt" komplett aus der Spur bringen und macht sich sein eigenes Bild. Auf dem Pfad nähert man sich dem Komponisten über Künstler und ihre Annäherung an Beethoven oder über Anknüpfungspunkte wie Schmerz, Disziplin, Entschlossenheit, Hybris oder Einsamkeit – wo auch immer man als Besucher anknüpft, es wird wohl auch etwas über einen selbst verraten.
Gleich zu Beginn wird man von einem exzessiv-expressiven Liniengewirr angezogen, das in alle Richtungen ausschlägt. Jorinde Voigt nähert sich Beethoven analytisch-mathematisch und seziert dessen 32 Klaviersonaten in 32 Zeichnungen. Wie die Auswürfe eines Seismografen macht sie so die Wucht dieser Werke erst sichtbar. Wo Voigt entwirrt, verdichtet Idris Khan: Er schichtet die 32 Klaviersonaten übereinander und erschafft damit mächtige monolithhafte Querbalken. Geradezu bedrohlich, überfordernd, wie Rebecca Horns Klavierinstallation, die von der Decke baumelt und den Grenzgang probt, in dem es sich scheinbar von Zeit zu Zeit seiner Tasten entledigt. Ein Gerät, das nicht von ungefähr an den Grenzgänger Beethoven erinnert, der nicht nur sich, sondern auch andere an ihre Grenzen brachte.
Sich Beethoven Schritt für Schritt annähern darf man in dieser Schau wörtlich nehmen: Beinahe einen ganzen Raum nimmt ein Holzfußboden aus seiner letzten Wohnung im sogenannten Schwarzspanierhaus ein, wo er 1827 starb: Wie oft mag er hier wohl wie manisch auf und ab spaziert sein, tief in Gedanken versunken? Nicht umsonst ist dieser Raum der Verzweiflung gewidmet, mit der er zunehmend zu kämpfen hatte: Ein ganz der Musik Verschriebener verliert sein Gehör. Im berühmten „Heiligenstädter Testament“ (1802), hier ebenfalls ausgestellt, schreibt er seinen beiden Brüdern von der fortschreitenden Isolation, in die ihn sein Gehörverlust treibt.
Wie ein Verstärker wirkt die Auswahl einzelner Blätter von Francisco de Goyas düsterem Horrorkabinett „Los Caprichos“. Doch es ist nur ein kurzer Blick in den dunklen Abgrund des nach einer Krankheit gehörlos gewordenen Goya, denn Beethoven triumphiert: „Es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück.“
Dieser Triumph, nicht frei von manischer Besessenheit, manifestiert sich am besten in der Videoinstallation von Guido van der Werve: Ein einsamer Mann schreitet zielstrebig über das Packeis, dahinter ein Eisbrecher, dessen monotones Motorengeräusch beinahe ins Meditative abgleitet. Diese verbissene Entschlossenheit kommt einem Befreiungsschlag gleich.
Die Natur war Beethoven ein vertrautes Habitat, in dem er in stundenlangen Spaziergängen, einen ihn umgebenden Heimathafen fand. Die Weite und die Größe der Natur werden hier in mehreren Bildern von Caspar David Friedrich fortgeführt, bevor man mithilfe von Partitur-Manuskripten und Autografen in die Gedankenwelt des Genies eintauchen kann. Der perfekte Ausklang ist aber dem Künstler Tino Sehgal gelungen: Er hat sechs Kompositionen für Gesang arrangiert und choreografiert: Reduziert auf eine einzelne Stimme, die magisch einen gigantischen Raum erfüllt. Emotional näher kommt man Beethoven wohl nicht mehr.
Weitere Ausstellungen zum Thema Beethoven:
"Inspiration Beethoven" heißt die kürzlich eröffnete Schau im Leopold Museum, deren Kern die Rekonstruktion jenes Jugendstil-Musikzimmers bildet, das Josef Maria Auchentaller um 1898 entwarf. Seine fünf Gemälde spiegeln die fünf Sätze der 6. Symphonie Beethovens wider. Dazu gibt es einen Exkurs über den Geniekult rund um Beethoven, wobei die legendäre Beethoven-Ausstellung in der Secession im Fokus steht. Zu sehen bis 5. April 2021 im Leopold Museum. (Mittwoch bis Sonntag, 10-18 Uhr. www.leopoldmuseum.org)
Die Schau "Beethoven. Menschenwelt und Götterfunken" im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek wurde bis 10. Jänner 2021 verlängert. Führungen wurden aufgrund der Anti-Covid-19-Bestimmungen ausgesetzt, doch am Donnerstag um 18 Uhr gibt es eine Beethoven Online-Führung. Im Portal "Beethoven Digital" sind zudem alle Objekte mit direktem Bezug zu Beethoven, die in den Archiven der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt werden, eingescannt zugänglich. (Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr, https://www.onb.ac.at)
Auch das Beethoven Museum in der Probusgasse 6, wo er 1802 das "Heiligenstädter Testament" verfasste, ist wieder offen. Dienstag bis Sonntag, 10-13 und 14-18 Uhr. (https://www.wienmuseum.at/de/standorte/beethoven-museum)
Das Beethovenhaus Baden und die bis 2. Mai 2021 verlängerte Ausstellung "Mythos Ludwig van" im Kaiserhaus am Hauptplatz, wo auch das historische Hammerklavier zu sehen ist, auf dem Beethoven während seiner Baden-Aufenthalte wiederholt gespielt hat, sind jeweils Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. (http://kaiserhaus-baden.at/ludwig-van/; https://www.beethovenhaus-baden.at/)
Keine Öffnungszeiten hat dagegen die Onlineausstellung der Österreichischen Mediathek: Unter dem Titel "Beethoven.vor.Ort" lädt man zu einer virtuellen Entdeckungsreise zu den Wohn-, Arbeits- und Aufführungsorten des Komponisten. Für die Schau wurden Schellackeinspielungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts digital (neu) aufbereitet und im Audiovisuellen Atlas Wiens verortet. (www.mediathek.at/beethoven/)