"Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium.“ Der umständliche Text von Friedrich Schiller war sicher nicht verantwortlich dafür, dass Ludwig van Beethovens Symphonie Nr. 9 bis heute sozusagen das musikalische Signet der Weltkultur darstellt. „Die Neunte“ und die ekstatische Anrufung einer den Erdenrund umspannenden Brüderschaft: Klingt immer gut. Von dieser Weihestunde des Menschseins haben Regime aller Arten Gebrauch gemacht, um sich Legitimität und Identität zu verleihen. Beethovens Neunte war für die Nazis Ausdruck heroischer Gesinnung, für die Kommunisten Weckruf zur klassenlosen Gesellschaft.Musik lässt das mit sich machen, weil Musik das erzählt, was Worte nicht können, sich aber zugleich über Konkretes beharrlich ausschweigt.
Diese Indifferenz machte den Freudengesang 1985 letztlich auch zur Hymne der EU. In diesem Fall war die Melodie geeignet, weil, so die EU-Begründung, die europäischen Werte Freiheit, Frieden und Solidarität in der „universellen Sprache der Musik“ zum Ausdruck brächte. Man beruft sich dabei ausdrücklich auf das politische Bewusstsein Beethovens. Dieses war freilich viel komplexer, als man annimmt.
Neue Art des Künstlers
Beethoven lebte in einer Zeit enormer gesellschaftlicher Umwälzungen. Geboren wurde er 1770 am Vorabend der französischen Revolution. Seine Geburtsstadt Bonn war eines der deutschsprachigen Zentren der Aufklärung, in der die neuartigen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in der Luft lagen. In den nicht ganz sechs Jahrzehnten von Beethovens Lebensspanne fallen mit den Revolutionen in Frankreich und Amerika, den Napoleonischen Kriegen, dem Zerfall des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation und dem Wiener Kongress zahlreiche Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung. Der Niedergang des Feudalismus und des Absolutismus und der Aufstieg des Bürgertums brachten einen allmählichen Wechsel der Lebenswelt, der sich in der Kunst niederschlug. Beethoven verkörperte eine neue Art des Künstlers, der nicht als Dienstbote eines Adligen rangiert, sondern als ein sich selbst und der Menschheit verantwortlicher, schöpferischer Geist.
In die Zeit Napoleons, als das europäische Machtgefüge durcheinandergeriet, fiel auch Beethovens „heroische Phase“, wie der Franzose auch der Komponist eine Verkörperung des damals modischen Weltgeists. Und doch lebte dieser so individuelle Künstler die längste Zeit seines Lebens in Abhängigkeit von adligen Gönnern, die ihm eine Leibrente auszahlten. Er war zwar auch Geschäftsmann, der sich mit Musikverlegern herumschlug, aber erst spät zu Beethovens Lebzeiten wurden auch das Bürgertum als Absatzmarkt für ihn langsam interessant.
In den 1820er-Jahren, im Biedermeier, als sich Österreich in den eigenen vier Wände verkroch, um sich den Spitzeln von Kanzler Metternich zu entziehen, wurde auch Beethovens Musik immer intimer und nach Innen gerichtet.
Was ist das, wenn nicht zutiefst politisch?
Doch wie politisch kann Musik jenseits ihrer eingangs erwähnten Instrumentalisierung überhaupt sein? Es wäre dumm zu glauben, Musik hätte keine politische Dimension. Es ist nicht zu übersehen, dass selbst Musik, die sich selbst nicht als politisch versteht, hochbrisant sein kann. Elvis Presley, die Beatles und Jimi Hendrix, nur um drei Beispiele aus der Popgeschichte herauszugreifen, haben die Empfindungswelt sowie das Bewusstsein vom Körper geändert und den Wunsch nach Freiheit angeheizt. Und was ist das, wenn nicht zutiefst politisch? Und man braucht sich nur zeitgenössischen R ‘n’ B und Hip Hop anschauen, um zu erkennen, welche enorme Rolle Musik für die politische und ökonomische Emanzipation der Schwarzen Amerikas übernimmt, wie damit kulturelle Traditionen beschworen werden, um neue, stabilere Identitätskonstrukte zu bauen.
Aber was ist mit der Klassischen Musik, was ist mit Beethoven? Diese wurden über Jahrhunderte immer tiefer unter der bürgerlichen Ideologie des Schönen, Guten, Wahren verräumt, die sich später auch noch kommerzialisierte. Die Klassik wurde zum Instrument sozialer Distinktion in einem Betrieb, dem zeitgenössische Musik fremd blieb und viel lieber so lange seine eng gesteckten Klangideale reproduzierte, bis er nur mehr museale, konservatorische Funktion hatte.
Vor allem Beethoven hat die Degradierung zum Klassiker nicht verdient. Nicht nur ob ihres heroischer Gestus’ und ihres revolutionär gestimmten Geistes, sondern auch in der Weise, wie Beethovens Musik die Sinne und Empfindungen schärft und fordert, kurz, wie sie das Dasein als Mensch vergegenwärtigt, macht sie letztlich zu etwas Politischem.